Alles soll hinterfragt werden

Die Europäische Union wollte einst mehr Handel mit den Staaten Afrikas und der Karibik treiben. Doch Osteuropa verdrängt die Länder  ■ Von Uwe Kerkow

Die Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union soll neu geregelt werden. Der 1990 geschlossene Lomé-IV-Vertrag läuft zwar erst in drei Jahren aus. Zeitdruck besteht dennoch, da bereits im Herbst nächsten Jahres Verhandlungen über ein Folgeabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) beginnen werden. Bis zum 2. März diskutieren nun die für Entwicklungspolitik zuständigen EU- Minister in Amsterdam über die künftige Entwicklungszusammenarbeit.

„Wir müssen den Mut aufbringen, alles in Frage zu stellen, außer unserem politischen Engagement und unserer Solidarität mit den AKP-Staaten.“ So eröffnete der zuständige Kommissar Joao de Deus Pinheiro die Diskussion, als er Ende letzten Jahres ein Grünbuch der EU über die Neugestaltung ihrer Entwicklungszusammenarbeit vorstellte.

Tatsächlich hat sich seit 1990 so viel getan, daß die Lomé-Verträge in ihrer bisherigen Form schon lange in Frage gestellt sind. Vor allem die osteuropäischen Länder haben in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Einige von ihnen sind schließlich potentielle EU-Beitrittskandidaten. In den letzten Jahren hat die Gemeinschaft die Hilfe für Osteuropa denn auch kräftig erhöht. Die Region wird zwischen 1995 und 1999 6,7 Milliarden Ecu erhalten (ein Ecu entspricht zur Zeit = 1,94 Mark). Auch die südlichen Nachbarn des Mittelmeerraumes werden immer wichtiger. Sie erhalten von 1995 bis 1999 insgesamt 4,7 Milliarden Ecu.

Dagegen verlieren die Beziehungen zu den AKP-Staaten zunehmend an Bedeutung. Hans Carle, der Referatsleiter Zentralafrika bei der Europäischen Kommission, weist darauf hin, daß die Einfuhren der Europäischen Union aus den AKP-Staaten 1980 noch 16 Prozent des gesamten Importvolumens ausmachten, während es 1994 nur noch 2,8 Prozent gewesen seien.

Das Grünbuch der EU beschränkt sich im wesentlichen darauf, die Notwendigkeiten aufzuzeigen, die die Entwicklungszusammenarbeit der Union künftig bestimmen werden. Für die Überführung des Lomé-Abkommens in einen neuen vertraglichen Rahmen werden vier Varianten aufgeführt: Entweder behalte man den Status quo bei und differenziere die Modalitäten und Prioritäten länderspezifisch. Oder aber man einige sich auf ein globales Abkommen mit den AKP-Staaten, daß dann jeweils um bilaterale Abkommen ergänzt werde.

Die dritte und die vierte Variante würden eine Abkehr vom Lomé-Konzept bedeuten. Demnach ließe man den bestehenden Vertrag entweder in drei regionale Abkommen zerfallen (je eines für Afrika, die Karibik und den Pazifik). Oder es wird ein gesondertes Abkommen mit den ärmsten AKP-Staaten geschlossen. Dieses Konzept findet unter den Verantwortlichen jedoch offensichtlich nicht sehr viele Fürsprecher.

Ganz allgemein muß zudem über die Zukunft der Handelsbeziehungen zur sogenannten Dritten Welt nachgedacht werden. Fast alle AKP-Länder gehören zu den Verlierern der Uruguay-Runde des GATT. Aus diesen Gründen muß ihre hohe Verschuldung dringend neu bewertet werden.

Welchen Rahmen die künftige Entwicklungszusammenarbeit der EU auch immer bekommen wird, die KritikerInnen halten vor allem die Praxis der Zusammenarbeit für verbesserungswürdig. Wilfried Tellkämper, Mitglied des Europaparlamentes, wies unter anderem darauf hin, daß die Verfahren für die Vergabe von Geld so kompliziert seien, „daß die AKP-Länder die nötigen Anträge oft gar nicht erst stellen“. Befriedigt zeigte sich Tellkämper, daß das Grünbuch ausdrücklich die Tür für eine inhaltliche Neuorientierung offen hält: Armutsbekämpfung, Erziehung und Berufsausbildung sowie den Umweltschutz nennt das Grünbuch als wichtigste Aufgabenfelder.

Tellkämper bemängelte aber die mangelnde Absicherung und Transparenz der Entwicklungszusammenarbeit innerhalb des Institutionsgefüges der Europäischen Union. Er forderte die Einbindung der Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit und die AKP-Staaten in den regulären Haushalt der Gemeinschaft. Zudem müsse es, so Tellkämper „ein eigenes EU-Kommissariat für diesen Bereich geben“.

Weiterer Kritikpunkt ist der oft fehlende Zusammenhang zwischen Entwicklungszusammenarbeit und anderen Feldern der EU- Politik, etwa dem Agrarsektor.