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■ ÖkolumneDas Schweigen der Lämmer Von Manfred Kriener

Seit vier Tagen wird in Deutschland nach Kräften geklont. Die einen vervielfältigen den Saddam Hussein, die anderen kleben viele Hitlers auf ihre Zeitungsseiten. Außerdem, so lesen wir, ließe sich der Papst klonen, Claudia Schiffer und Peter Alexander. Guten Tag, Herr Frankenstein! Zugleich sind sich von Bill Clinton bis zur Bischofskonferenz alle einig: Der Dammbruch muß verhindert werden, die Zucht von Menschen-Duplikaten darf es nicht geben.

Kaum ist das Ungeheuerliche geschehen, wird es schon durch die Imagination des noch Ungeheuerlicheren ersetzt. Niemand redet mehr vom geklonten Schaf, aber alle vom geklonten Hitler. Mit Hirngespinsten der Zukunft wird die unbequeme Gegenwart ausgeblendet. Es ist schon frappierend, mit welcher Hartnäckigkeit die Antwort auf die eine, jetzt anliegende Frage verweigert wird: Wollen wir die Klonierung von Tieren gestatten? Wollen wir die Natur von der Stange? Wollen wir die Eigen- und Einzigartigkeit des Lebens aushöhlen? Dieses Leben beginnt nicht erst beim Menschen. Auch das Schaf Dolly gehört dazu.

Die Diskussion über geklonte Menschen ist angesichts der Möglichkeit, von allen erwachsenen Säugetieren zeitlich verzögert Mehrlinge herzustellen, zwar verständlich, aber sie bringt nur eine weitere Grenzverschiebung. Das doppelte Schaf ist zwar schlimm, aber noch viel schlimmer wäre der verdoppelte Mensch. Die Geschichte der Bio- und Reproduktionstechnologie ist eine Geschichte solcher Grenzverschiebungen. Ein langer ethischer Erosionsprozeß hat das gerade noch Hinnehmbare immer weiter in die Zukunft verrückt. Erst das Retortenbaby, dann die Leihmutter, jetzt der Klon. Man gewöhnt sich an Sodom und warnt vor Gomorrha. Aber es darf nicht nur darum gehen, daß es möglich wäre, Menschen zu kopieren. Es muß darum gehen, daß es heute möglich ist, Tiere zu vervielfältigen, und daß genau dies bereits getan wird. Und darauf muß eine zivile Gesellschaft Antworten geben.

Doch mit der Erscheinung des geklonten Schafes schlägt die Stunde der Fatalisten. Wir können es sowieso nicht verhindern. Was technisch möglich ist, wird auch gemacht, funken sie aus ihrem stickigen Bunker. So versucht man, seine eigenen Ohnmachtsgefühle loszuwerden. Die Klonierungstechnik ist zwar tatsächlich nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Aber ihre Anwendung kann genauso verboten werden wie das Rauchen von Marihuana, das Fahren auf der linken Straßenseite oder der Besitz von Atomwaffen. Die Ächtung der Klonierung ist möglich, wenn sie gewollt wird.

Kaum hat das schottische Schaf erstmals öffentlich geblökt, beginnen die einschlägigen Forscher, ihre Rechtfertigungslinie aufzubauen: Der Klon sei zwar genetisch identisch, aber dennoch ein Individuum, weil soziale Einflüsse aus Zwillingen zwei ihrem Wesen nach verschiedene Menschen formen. Dieselben Forscher, die seit zwei Jahrzehnten die genetische Ausstattung über alles stellen, die selbst Homosexualität und Gewaltbereitschaft, Übergewicht und Alkoholismus als primär genetische Disposition sehen, sie entdecken plötzlich die soziale Welt. Welch wundersame Wandlungen doch ein kleines Schaf auszulösen vermag.

Immer wieder haben Wissenschaftler die Kritiker der Reproduktionstechnik belehrt und versichert, daß der Klon eine Fiktion ist. Wer das Gegenteil behauptete, galt als Alarmist, der zur Diskreditierung einer ganzen Forschungsrichtung realitätsfremde Schreckensszenarien konstruiert. Jetzt, wo die Fiktion schäfchenweich auf vier Füßen steht, wird sie sofort verteidigt. Das Schaf wird eingemeindet, die eigene Zunft steht fest zusammen. Die immer wieder beschworene Diskussion über „Chancen und Grenzen“ von Gentechnik und Biotechnologie findet zumindest in den eigenen Reihen nicht statt.

„Leben“, sagt eine berühmte Romanfigur, „ist organisierte Fäulnis.“ Leben ist aber vor allem Vielfalt, das bunt schillernde Spektrum der Möglichkeiten. Leben ist Zufall, Überraschung. Leben ist dick und dünn, schön und häßlich. Der Klon ist das Gegenteil: die kühl kalkulierte Erbmasse, die genormte Existenz, das Ende der Natürlichkeit. Nur Lämmer lassen sich das gefallen. Schweigend.

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