Bügel- und Sorgenfalten

■ Premiere von „Die Mondfinsternis“im Theater am Mäuseturm

Wenn eine kleine Bühne wie das Theaterschiff am Mäuseturm ein Stück zeigt, das nur in einem Wohnzimmer spielt, wirkt das familiär. Wenn sich die Bewohnerinnen dieses Zimmers bekriegen, kann die Nähe beklemmend werden. Und wenn das Theaterschiff dann noch im Wasser wackelt, kommen leicht Fluchtideen auf.

Das schwankende Schiff ist jedoch das einzige, was in Jürgen Hübners Inszenierung Die Mondfinsternis von Joyce Carol Oates tatsächlich bedrohlich wirkt. Dabei ist die Geschichte eine von denen, deren Protagonisten sich normalerweise ein Gewehr schnappen und den Gegenspieler niedermetzeln.

Nicht so Stephanie. Sie will lediglich weg, nach 43 Jahren Wohngemeinschaft mit ihrer Mutter. Sorry: mit Muriel. Die Anrede „Mutter“will die Ex-Volksschullehrerin nicht hören, nicht in ihrer Stube! „Wen man zur Mutter ernennt, ernennt man zur Kloputzerin, Kleines“, belehrt sie ihre Tochter. Die Lektion ist unnötig, denn im Emanzipieren ist Stephanie klasse. Theoretisch. Klischee-Feminismus strömt aus ihrem Mund, kaum daß sie den Telefonhörer abnimmt. „Frauen befinden sich in einer schwierigen ökonomischen Situation“, lamentiert sie in die Ohren des „Feministischen Komitees“– taktisch klug, denn da will sie Direktorin werden. Daß frau sich auch von der eigenen Mutter emanzipieren kann, ist Stephanie entgangen.

In Hübners Inszenierung ist Muriels Tochter (Margret Lehmann) die personifizierte Langeweile: Bügelfalten in der Hose, Sorgenfalten im Gesicht und Selbstbeherrschung, die ein geflüstertes „O Gott, Mutter“zum Höhepunkt der Kraftausdrücke macht. Das muß sie von ihrem Vater haben, denn Mutter Muriel (Irma Hadank), die verhinderte Astro-Physikerin, trägt lachsrosa T-Shirts zu roten Leggins und sitzt schattenboxend vor dem Fernseher. Seit einer Gehirnoperation hat sie Sehstörungen, leidet an Verfolgungswahn. Beim Einkaufen zerdeppert Muriel Flaschen, weil sie die Kameras über dem Eingang für Überwachungsinstrumente der Schulbehörde hält. Zu Hause nutzt sie 40 Jahre Volksschulerfahrung, um die Selbständigkeit ihrer Tochter zu verhindern.

Die Mondfinsternis böte Stoff für einen Psychokrieg. Doch die Inszenierung bleibt verhalten. Zwar weinen sich Mutter und Tochter an, bedrängen und zanken sich, aber der Spanungsbogen bleibt flach. Mutter Muriel ist in ihrem Wahn mehr komisch als bedrohlich, allenfalls schürt sie Mitleid.

Autorin Joyce Carol Oates hat in ihrem Stück eigentlich Lunten genug für eine Haß-Explosion gelegt – leider zündet Hübner sie nicht an. Und so ebbt die Geschichte in einem offenen Ende ab. Und das Schiff schaukelt.

Judith Weber