■ Vorschlag: Festgepinnte Schmetterlinge: „Frau in Schwarz – House of LorcaI“ von Jo Fabian am Hebbel-Theater
„Sie hat mir leid getan, die kleine spanische Tänzerin auf der Spieluhr. Immer im Kreis, ein Arm hoch und nieder, würde sie nie die Kraft der Veränderung im wirklichen Tanz erfahren. Trotzdem drehte ich an der Schraube, bis mir jemand den Nippes wegnahm und in der Vitrine verschloß.“ Von der Unausweichlichkeit der Wiederholung, die dem Lebendigen starre Arabesken aufzwingt, ist Jo Fabians „Frau in Schwarz. House of LorcaI“ geprägt. In jedem Akt, der in Bilder des Tages und der Nacht geteilt ist, wiederholt sich wellenförmig eine minimale Aktion.
Eine Stimme, die bis 100 zählt, betont das zähe Verstreichen der Zeit. Am ersten Tag verrät nur das nervöse Vibrieren der Fächer in den Händen der sechs Frauen, die in ihren hochgeschlossenen schwarzen Kleidern auf dem Dach, der Treppe und dem Balkon verharren, ihre innere Erregung. Die Stufen der Treppe führen im Kreis, eine Tür öffnet sich auf eine Wand: kein Ausweg, nirgends.
Auch in der Musik, einem mandolinenversetzten, doch sehr schwer schwingenden Rock-Sound, staut sich dramatische Spannung wie vor dem Showdown im Mexiko-Western, um dann in einer Schleife erneut Anlauf zu nehmen. Die Gewißheit, von der alten Wächterin auf dem Dach beobachtet zu werden, kriecht nicht nur den Frauen auf der Bühne die Wirbelsäule hoch und nistet steif zwischen ihren Schultern: Festgepinnt wie Schmetterlinge sitzt auch das Publikum.
Erst in der Nacht nach dem nicht enden wollenden Tag beginnt ein verhuschtes Leben. Die Frauen, jetzt in roten Flamenco-Kleidern, rascheln über die Bühne, kauern, verstecken, belauern sich. Eine witzige Pantomime erwächst aus Begegnungen und Abtauchen in die Dunkelheit, die sich wiederholen, verschränken und zum absurden Reigen steigern. Ein einsamer und lautloser Flamenco beschließt die Nacht, zuletzt nur noch sichtbar durch den Spalt der sich schließenden Vorhänge. Später, viel später wird man das Knallen der Absätze aller Frauen, von denen man nur die Beine sieht, wie eine Befreiung erfahren, wie das Losbrechen einer Gewalt.
Warum beschäftigt sich ein Tanztheater mit Garcia Lorca, dessen Dramen den Zuschauer fast immer mit einer lähmenden Anspannung quälen? Es kann nicht mehr um die Kritik am Gespenstertanz der spanischen Gesellschaft unter Franco gehen, die Lorcas Theater unfreiwillig lange am Leben hielt. Anders als der Choreograph Antonio del Gades, der mit dem Regisseur Antonio Saura Lorcas „Bluthochzeit“ in die Sprache des Flamenco übersetzte, interessiert sich Fabian auch nicht für ein Wiederhervorstampfen atavistischer Leidenschaften und die tödlichen Rituale von Liebe und Eifersucht. Ihn scheint vielmehr das Bewegungs- und Ereignislose, das Verschlucken der Wünsche an Lorca zu faszinieren.
Je weniger die Frauen handeln, desto mehr ballen sich in ihnen unartikulierte Gefühle und Vorstellungen zu einem Wust zusammen. Gerade in der Reduktion des Ausdrucks gewinnt Fabians Theater aus kontrastreichen Farben und Figuren, die wie Scherenschnitte vorüberziehen, an Intensität und Spannung. Er möchte damit eine Aufmerksamkeit herauskitzeln, die nicht nur das kleinste Detail der Bewegung registriert, sondern mehr noch die bloße Präsenz der Körper auf der Bühne spürt und in sie eintaucht. Das gelingt, aber nicht immer.
Auf jeden Fall hat Fabian für „Frau in Schwarz“, das vom Kleist- Theater Frankfurt (Oder) und dem Hebbel-Theater koproduziert wurde, eine Bühnensprache entwickelt, die sich dem schnellen Zappen und dem Programmwechsel per Mausklick entgegenstemmt. Lorcas Frauen bleibt die Kommunikation im Hals stecken. Mit kurzen Geräuscheinblendungen von Flugzeugen und Disco-Musik verschiebt Fabian sein „House of Lorca“ in unsere Zeit der Mobilität und des ständigen Ausstellens der Gefühle. Denn es könnte sein, daß unser Gewinn an Kommunikationsfähigkeit doch nur ein scheinbarer ist.
Im Prolog tritt ein alter Mann vor den Vorhang. Daß er das Leben des Dichters Revue passieren läßt, kann man im Programmheft nachlesen, zu verstehen ist es nicht. Denn kaum hörbar murmelt er seine Worte, die von ungeschriebenen Stücken und unaufführbarer Dichtung erzählen. Zwar verleiht er diesem Paradox eine sinnliche Evidenz, aber auf Kosten des Publikums. Dabei liefert er einen Schlüssel für die Rätsel der Bilder: „Die Frauen haben auf mich gewartet, aber ich bin nie gekommen“, imaginiert sich der Autor in die Rolle dessen hinein, dessen erlösenden Auftritt er in seinen Dramen verweigert. Lutz Günzel, der den Dichter spielt, hockt auch als alte Wächterin auf dem Dach: Als ob Lorca, ganz wie ein Forscher, das Beobachten der Wartenden an die Stelle des Eingreifens gesetzt hätte. Katrin Bettina Müller
Frau in Schwarz – House of LorcaI“, Choreographie: Jo Fabian. Weitere Vorstellungen: 3. und 4. März, 20 Uhr, im Hebbel-Theater, ab 14. März im Kleist-Theater Frankfurt (Oder)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen