Die ungeliebte Kulturinsel

Neue taz-Serie: „Brennpunkt Masterplan“. Das Kulturforum soll in einen „grünen Teppich“ verwandelt werden. Ende der Scharoun-Idee?  ■ Von Rolf Lautenschläger

Wenn Edgar Wisniewski von seinen Büro über die Neue Nationalgalerie, die Staatsbibliothek und die Philharmonie auf die Rohbauten am Potsdamer Platz blickt, steigt ihm die Zornesröte ins Gesicht. „Dort drüben zieht man einen schrecklichen Debis-Bau nach dem anderen hoch, und hier will man das Kulturforum unter den grünen Rasen bingen“, sagt der Architekt, einst Partner von Hans Scharoun, der das Kulturforum entwarf. „Der Masterplan, der die jetzige Freifläche erhalten will, gibt keine Antwort auf die Idee der städtischen Landschaft. Er konterkariert sie.“

Geht es nach dem Willen von Wisniewski, dann soll der Plan von Scharoun aus den sechziger Jahren für das Kulturforum weiter Bestand haben: Neben den bestehenden Bauten müßte das „Haus der Mitte“ vor der Matthäikirche realisiert werden – ein Künstlerhaus mit Ateliers, einem Probensaal für die Philharmoniker, Galerien und Gastronomien. Als zweiter Bau käme ein Musikinstitut an der Potdamer Straße hinzu. „Nur so schafft man ein geistig-kulturelles Zentrum, das dem Standort entspricht. Davon spürt man im Planwerk Innenstadt nichts.“

Seit über 30 Jahren besteht das Kulturforum. Und seit über 30 Jahren klafft eine Planungslücke im Zentrum der Hauptstadt. Daß der Wind über die große Fläche fegt, regt nicht nur den Generaldirektor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Wolf Dieter Dube, auf, der sich einen „derartigen Zustand für einen kulturellen Mittelpunkt etwa in Paris nicht vorstellen kann“. Geschockt von der Ödnis mit Zirkuszelt und Automarkt ist auch Hans Stimmann, Staatssekretär beim Senator für Stadtentwicklung, der mit dem Masterplan ein „neues Signal zur Umgestaltung“ des Quartiers gegeben hat.

Doch Stimmann denkt nicht an die Vollendung des Kulturforums nach den Plänen Scharouns. Auf das urbane Zerstörungswerk der Moderne, das in der Nachkriegszeit über beide Stadthälften niederging, reagiert der Masterplan mit dem Vorschlag der Verweigerung. Der Idee Wisniewskis, gemeinsam mit der Hanseatica dort ein Haus der Mitte zu realisieren, das sich in der architektonischen Gestalt an die Bauten der Staatsbibliothek und der Philharmonie anpaßt, setzt der Masterplan eine Grünplanung entgegen.

„Die problematische Eigentümlichkeit des Kulturforums besteht darin“, erklärt Fritz Neumeyer, Autor des Planwerks, „daß seine Stadtgestalt weder einen historischen Kontext zu vergegenwärtigen noch einen lesbaren Kontext zu prägen in der Lage ist“. Das „freie Arrangement von Baukörpern“ bilde keine Stadt, sondern eine unstädtische „Stadtlandschaft“. Dieser würde am ehesten die Idee des Parks gerecht werden.

Bis auf ein kleines Gästehaus, das neben der Matthäikirche realisert werden könnte, plädiert der Masterplan für das „Hereinwachsen“ des Tiergartens auf die Fläche des Kulturforums. Die Innenfläche des Ortes soll zum grünen Teppich verwandelt werden, die Rampe zur Sitztreppe umgebaut und die Rennbahn Potsdamer Straße mit Bäumen als Parkway durch den grünen Campus führen.

Man kann es als Vorschritt sehen, daß Stimmann die „stadträumlichen Qualitäten dieser Kulturinsel“ erhalten will und diese nicht mehr – wie noch vor Jahren angedacht – in eine kompakte Stadtkante aus Blöcken oder Riegeln verwandeln will. Mit der provozierenden Größe und Ideologie der Architekturen und der Scharounschen Stadtlandschaft hat die grüne Idee freilich wenig zu tun. „Man setzt nachsichtig auf ein Grünempfinden der Bürger“, kritisiert Wisniewski, „aber mit einer falschen Darstellung des Begriffs Stadtlandschaft – um so das Kulturforum als Rudiment zu belassen, weil man Scharouns Konzept nicht anerkennen will“. Das „Herumwurschteln“ mit diversen Alternativvorschlägen sei nur der erneute Ausdruck der Unsicherheit eigener Planung.

Damit hat Wisnieski nicht unrecht, trauten sich doch die politischen Planer der Stadt nur zögerlich an den Entwurf der Moderne heran. „Solange man nicht weiß, was man mit dem Kulturforum will und wer den Weiterbau finanzieren kann, ist es besser, es so liegen zu lassen“, hatte der frühere Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) als Marschrichtung 1993 ausgegeben. Erst solle das „Kraftwerk Potsdamer Platz“ fertiggestellt werden – dann könne man weitersehen.

Doch am Kulturforum wird trotzdem und ohne das große Gesamtkonzept weitergebastelt. Auf der Rampe vor der Gemäldegalerie, wo die Skateboarder tagtäglich ihre Balancekünste zeigen, plant Christoph Sattler einen langen gläsernen Riegel, in dem ein Café untergebracht werden soll. Das Restaurant für die Besucher der Gemäldegalerie, des Kupferstichkabinetts und der Kunstbibliothek soll die Aufenthaltsqualität stärken. Zugleich plädiert Sattler für eine steinerne Piazza im Dreieck Potsdamer Straße, Matthäikirche und Rampe. Eine Vollendung des Kulturforums nach den Plänen Hans Scharouns kommt für ihn nicht in Frage. „Die Idee der Moderne war auf außergewöhnliche Architekturkonzepte konzentriert. Auf den Städtebau gab sie keine Antwort.“

Im Hause der Senatsbaudirektorin Barbara Jakubeit sieht man das freilich anders. Es sei klar, daß man die freie Fläche gestalten muß, betont die Leiterin der Architekturwerkstatt, Heuden. Der gegenwärtige Zustand beinhalte „ein urbanes Defizit“, das mit einer Platzgestaltung oder grünen Fläche aber nicht zu beheben wäre. Heuden: „Allein schon aus städtebaulichen Gründen sowie aus Gründen der Nutzung für kulturelle Institutionen ist eine Bebauung notwendig.“ Allerdings, räumt Heuden ein, müsse das nicht auf der Grundlage der Pläne aus den fünfziger Jahren geschehen. „Die Scharoun-Idee relativiert sich heute, und neue Überlegungen sind angebracht.“ Dennoch plädiert auch sie für die Fortsetzung der modernen Stadtlandschaft- Konzeption, die zu erhalten das eigenwillige Gesicht des Kulturforums „weiter steigern könnte“.

(kommende Woche: Königsvorstadt)

Heute tagt um 19.00 Uhr im Staatsrat das Stadtforum zum Thema Kulturforum und Masterplan.