■ In Ostwestfalen herrschen Recht und Ordnung: Sondereinsatz Schülerstreich
30.000 Polizisten für den Castor im Einsatz – da können die Ordnungskräfte im Kreis Warendorf nur neidisch gucken. Aber im Kleinen tun die westfälischen Kollegen das Ihre, um dem Recht eindrucksvoll Achtung zu verschaffen. Zivilbeamte, Kameras, einen Hund und Einsatzwagen aus dem ganzen Kreis boten sie im Herbst auf, weil ausgelassene Abiturienten sich im Rahmen einer Party mit Klingelstreichen vergnügt hatten.
Wenn sich die Staatsgewalt so ins Zeug legt, muß etwas dabei herauskommen. Am vergangenen Freitag folgte auf die Klingelei ein Verfahren wegen „Widerstands gegen Vollzugsbeamte“. Eine Zwanzigjährige und ihr damaliger Freund mußten sich vor dem Amtsgericht Beckum an die Nacht zum 14. September 1996 erinnern – ein Prozeß, der der Polizei eigentlich unangenehm hätte sein sollen.
Die junge Frau traf damals auf einer Party ehemalige Mitschüler, die einem Lehrer Klingelstreiche gespielt hatten. Die Reifegeprüften wollten noch einmal losziehen, um zu läuten, und die Angeklagte ging mit. Zweimal sei sie an dem Haus gewesen, „nur um zu gucken“. Beim letztenmal allerdings blendete plötzlich ein Streifenwagen seine Scheinwerfer auf.
Auf den sonst eher friedlichen Straßen Beckums spielte sich nun eine rasante Verfolgungsjagd ab: Die Polizisten rasten der Angeklagten hinterher, die allein und zu Fuß in Richtung Party zu entkommen suchte. Die Beamten schnappten die Flüchtende und stellten unter Beweis, daß amerikanische Polizeiserien auch in Ostwestfalen bekannt sind. Zu zweit drückten sie den Oberkörper der jungen Frau auf den Streifenwagen und fesselten ihr die Hände mit Handschellen auf den Rücken.
Unverhältnismäßig brutal fand das die Angeklagte und wehrte sich. Sie griff mit den gefesselten Händen blind nach hinten. „Au, die hat mir voll in die Eier gepackt!“ rief der eine Polizist nach Aussage seines Kollegen. Die Partybesucher, die mittlerweile das Geschehen bestaunten, grölten begeistert. Die Polizisten bekamen nun die aus dem ganzen Kreis angeforderte Verstärkung, „weil das zu eskalieren drohte“, so einer der beteiligten Beamten.
Derweil mühten sich zwei Beamte, die knapp 50 Kilo leichte Angeklagte in ein Auto zu verfrachten. Der eine zog an der Nase, der andere hebelte mit den Beinen. Dabei konnten die Polizisten sich nicht um die Bitte kümmern, die sehr engen Handschellen zu lockern: „Das ist eine ganz schöne Friemelarbeit.“
Nicht weit entfernt rangelte ein weiterer Ordnungshüter mit dem anderen Angeklagten, der seiner Freundin beistehen wollte. Er habe dabei Bier abbekommen, beschwerte sich der Polizist am Freitag mehrfach bei der Richterin. „Es ist Gott sei Dank nichts auf die Hose gekommen.“
Schnell raus aus dem Schlamassel – Richterin Anette Zurhove stellte die Verfahren ein. Womöglich sei der berauschte Freund vermindert schuldfähig gewesen. Für die damals 19jährige könne Jugendrecht gelten. Außerdem sei jetzt nicht mehr alles zu rekonstruieren. Nicht einmal die Polizisten waren sich noch über den genauen Hergang einig. Offen bleibt daher zum Beispiel, ob die Ordnungshüter die junge Frau wirklich nur „Perle“ nannten und ihre Namen verschwiegen. Ob sie die Mutter zweier Mädchen wirklich mitten in der Nacht, ohne die Chance, zu telefonieren, auf die Straße setzten, während im Nachbarort der Babysitter wartete. Ziemlich sicher hingegen ist, daß der eine Polizist einen Scherz machen wollte, als er bat, ihn schnell als Zeugen zu entlassen, weil er sich um seine kleine Tochter kümmern müsse. Morten Kansteiner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen