Wo Es war, soll Es auch bleiben

Freud, dionysisch korrigiert: Nach „Das Leben der Nora Joyce“ hat Brenda Maddox eine Biographie zu D.H. Lawrence und seinem obsessivem Eheleben mit Frieda von Richthofen geschrieben. Während er schrieb, ging sie fremd  ■ Von Jürgen Berger

Herbst 1928. David Herbert Lawrence sitzt mit seiner Schwiegermutter, Baronin Anna von Richthofen, in einem Baden-Badener Salon und legt mit ihr Patiencen. In zwei Jahren wird der berühmte und umstrittene D.H. Lawrence als 45jähriger an einer bis zum Ende verdrängten Tuberkulose sterben. Im Moment ist er damit beschäftigt, seinen gerade fertigestellten Roman „Lady Chatterley's Lover“ im Eigenverlag zu vertreiben.

Nötig hätte er das nicht. Die Verleger reißen sich um die Manuskripte des Schriftstellers, der eine Erzählung innerhalb von wenigen Tagen und die erste Niederschrift eines Romans in der Rekordzeit eines knappen Monats schafft. Aber im Falle der „Lady Chatterley“ weiß Lawrence, daß er Probleme mit der Zensur bekommen wird und alles in der Hand behalten muß. Und er will natürlich mehr verdienen, indem er seine Verleger ausschaltet.

Er hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon lange sein eigenes Sexualweltbild zurechtgelegt, das mehr oder weniger bewußt in Kokurrenz zu psychoanalytischen Theorien trat. Als in England die Wellen wegen „Lady Chatterley“ hochschlugen und John Bulls berühmt-berüchtigte Rezension im Sunday Chronicle erschien („eine Jauchegrube“, „das obszönste Buch in englischer Sprache“), bestand Lawrence ruhig darauf, sexuelle Erfüllung sei Voraussetzung eines glücklichen Lebens, Punktum, von den triebpsychologischen Schattenseiten wollte er nichts wissen. Wo Es war, soll Es bleiben. Marcuses Glücksversprechen durch das befreite Triebleben vorwegnehmend, war „Lady Chatterley“ eine Feier des sexuellen Erwachens, die nichts von Ich-Stärke wissen wollte. Und das, obwohl Lawrence selbst in diesem Punkt auffällig ambivalent war, der einen weitgehenden sexuellen Liberalismus predigte, aber gleichzeitig Angst vor der eigenen Courage hatte.

Die Folge: ein romantischer Eskapismus, den seine Biographin Brenda Maddox „Pantisokratie“ nennt. Mit „Herrschaft der Höschen“ ist nichts Schlüpfriges gemeint, sondern Lawrence' Welterrettungsgedanke. Er wollte eine Schar Gleichgesinnter auf einer Insel „Rananim“ um sich sammeln, wo sich ein Kreis von Auserwählten dem Experiment menschlicher Vervollständigung widmen sollte.

Maddox, die amerikanische Journalistin und Biographin, wurde 1990 bei uns mit „Nora – Das Leben der Nora Joyce“ bekannt und hat jetzt wieder eine 848 Seiten starke Biographie geschrieben. Keine x-beliebige versteht sich. Sie hat vielmehr Leben und Literatur des umstrittensten Populärliteraten unseres Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der hochkomplizierten Intimsphäre des Ehepaares Lawrence in den Blick genommen, wie sie es schon mit Joyce und dessen koprophilen Neigungen getan hatte.

Daß Lawrence zum Problemfall für feministische Kritikerinnen wie Kate Millet wurde, nimmt in ihrer Biographie immer wieder breiten Raum ein. Sie zitiert allerdings nur und diskutiert nicht; Lawrence' selbstgestrickter Sexualtheorie ist damit nur bedingt beizukommen.

Im Zentrum der Kritik stehen immer wieder die Waldszenen aus „Lady Chatterley“, in denen sich die junge Constance von der Seite ihres gelähmten und sich in hohlem Gerede verlierenden adligen Ehemanns wegbewegt. Unabwendbar zieht es sie zu Lawrence' Wildhüter Mellors, der ganz Körper ist, wo ihr impotenter Mann nur Sprache war. Allerdings ist er kein Naturprotz. Wo die Kritik nur den Prometheus sah, der die Frau nach seinem erdigen Bild formt, hat Lawrence eher ein Paar beschrieben, das qualvoll versucht, sich aus dem „Unbehagen in der Kultur“ herauszuwinden. Mellors wirkt eher düster, Constance ist alles andere als eine endlos manipulierbare junge Frau. Sie nimmt sich, was sie braucht, und hat mitunter alles andere als hingebungsvolle Gefühle: „Sein Körper war ein idiotisches, unverschämtes, unfertiges Ding und ein bißchen widerlich in dieser unfertigen Plumpheit.“

Während in der gleichen Zeit die Psychoanalyse ein sprachliches Instrumentarium erarbeitete, das ein Reden über das menschliche Triebleben überhaupt erst ermöglichen sollte, entschärfte Lawrence die menschliche Trieblandschaft sofort wieder, indem er sie in einer märchenhaft-paradiesischen Waldidylle situierte. Wenn es zwischen den beiden klappt, läßt er plötzlich tausend Blumen blühen und Vöglein schalmeien.

Brenda Maddox geht dieser Spur nicht wirklich nach, belegt aber trotzdem, wie all diese Situationen auch durch Lawrence' Eheerfahrungen mit Frieda von Richthofen beeinflußt waren. Maddox zählt zu jenem angelsächsischen Wissenschaftlertyp, der auf einer engen Verzahnung von biographischen Details und Literatur beharrt. Daß Frieda von Richthofen immer wieder Tage und Wochen verschwand, um sich bei einem ihrer Liebhaber „multiple Orgasmen“ (Maddox) zu holen, mag aufgrund von Briefstellen und Tagebucheinträgen naheliegen. Weniger nahe liegt, daß Lawrence' Erniedrigungs- und Tötungsphantasien etwa in „Die Frau, die davonritt“ ein literarischer Reflex auf Friedas schweifendes Sexualleben waren, ein hilfloser Domestizierungsversuch der starken Gattin durch den Romancier.

Die Frau, die davonreitet, wird im mexikanischen Bergland von Indianern rituell bestiegen und wahrscheinlich auch getötet. Frieda von Richthofen kehrte nach ihren Ausritten immer wieder zu Lawrence zurück. Wenn sie zusammen waren, flogen die Fetzen. In Chexbres über dem Genfer See lagen sie sich ohne Scheu vor Aldous Huxley und seiner Frau in den Haaren. Huxley sah genau hin und porträtierte den Clinch der funkensprühenden deutschen Walküre mit dem ausgemergelten Körper des englischen Tuberkulosegenies in seinem Roman „Kontrapunkt des Lebens“.

Brenda Maddox: „Ein verheirateter Mann. D.H. Lawrence und Frieda von Richthofen“. Deutsch von Erica Fischer. Kiepenheuer & Witsch, 848 Seiten, 78 DM