■ Nachschlag
: Bandoneon-Solo: Der Argentinier Luis de Matteo im Haus der Kulturen

El ultimo bandoneonista – als einen der letzten wahren südamerikanischen Bandoneonspieler sieht sich Luis de Matteo, der 1934 in Montevideo geborene Solovirtuose. Und so betritt er auch die Bühne: als Einzelgänger, ein krauser Lockenkopf in rosa Hemd und schwarzer Weste. Allein, introvertiert und unprätentiös geht er schnurstracks auf seinen Platz, legt sich wortlos ein rotes Tuch auf den Schoß, darauf das Bandoneon, und greift, versenkt sich in sein Instrument. Das Bandoneon, ein kleines Knopfakkordeon, wirkt auf den ersten Blick so sympathisch alt wie ein Schellack-Plattenspieler oder eine Daguerreotypie-Kamera, birgt aber eine zeitlos lebendige Gefühlswelt in sich, die den Zuhörer flugs in einen Kosmos nostalgischer Emotionen taucht. Luis de Matteos kunstvoller Tango concertante entspinnt die Filmmusik für eine imaginäre Leinwand, sie löst Bilder schwarzweißer Stummfilmszenarien aus, flüchtiger Straßenszenen und kleiner Melodramen – ein simpler Akkord weckt mehr Assoziationen als der ganze „Evita“-Bombast.

Ernst, aber nicht schwermütig, vermittelt er eine Ahnung von den Freuden der Melancholie. Sein Tango nuevo, das sind urbane Klänge aus frühindustriellen Zeiten, denen das verrauchte Kneipenkolorit zwar noch anhaftet, die aber schon längst kammermusikalischen Charakter angenommen haben. Komplexe Melodiemuster, überraschende Rhythmuswechsel, vielschichtige Variationen setzen dramatische Akzente und Pausen, transformieren die eigentlich recht simple Erzählstruktur des Tango, erzählen stimmungsvolle Geschichten und bauen atmosphärische Spannung auf, die erst mit dem Schlußakkord aufgelöst wird. Das Ganze ohne Pathos, ein sprödes Schauspiel komprimierter Bewegung, nur kurz unterbrochen von knappen Ansagen, als Luis de Matteo etwa „Camino a Detmold“ ankündigt: „Detmold war für mich meine erste Heimat in Deutschland“; an der dortigen Musikhochschule arbeitete er drei Jahre. Sein Zeremoniell kommt ohne große Gesten aus, als Dank für den Applaus streckt er bescheiden die Arme aus, verneigt sich und verläßt, wieder ohne ein Wort, die Bühne. Sehr angetan bewegte sich dann auch das Publikum aus dem Auditorium. Daniel Bax