Die Presse – geknebelt im Hotel

■ Ausnahmezustand und Ausgangssperren, Zensur und Sperrzonen machen Korrespondenten im unruhigen Albanien das Leben schwer

Tirana (taz) – Irgendwie haben es alle doch noch geschafft, in Tirana anzukommen. Die Korrespondenten der Weltpresse geben sich wie bei allen großen Anlässen wieder einmal ein Stelldichein. Doch für die Fernsehleute ist die ganze Arbeit umsonst. Seit gestern nachmittag klappt die Übertragung von Bildern nicht mehr. Die albanischen Behörden haben der Europäischen Broadcasting Union (EBU) die Übermittlung untersagt, die Zugänge zu den Satelliten sind gesperrt.

Auch die schreibende Presse ist eingeschränkt. Die Regierung hat verfügt, daß die Journalisten alle Texte der Zensur vorlegen müssen. Die albanischen Medien unterliegen ebenfalls einer strengen Zensur. So sind auch die offiziellen Angaben über den Einsatz von Panzern im Süden des Landes in der Hauptstadt nicht nachzuprüfen. Die Weltpresse sitzt geknebelt im Hotel, während im Süden möglicherweise Kämpfe stattfinden. Und vielleicht auch Verbrechen gegen die Bevölkerung. Nachdem auch die Journalisten der Presseagentur AP aus Vlorä ausgeflogen wurden, ist kein unabhängiger Beobachter mehr in der Stadt.

Die nächtliche Ausgangssperre wird offensichtlich konsequent durchgesetzt. Ab 20.00 Uhr sind am Montag abend die Straßen von Tirana wie leergefegt. Nur Polizisten und die Lederjacken der zivilen Geheimpolizei sind von der Terrasse des Hotels International aus noch auf dem zentralen Skanderbeg-Platz zu sehen.

Bei einem kurz vor der Ausgangssperre gemachten Rundgang im Zentrum der Stadt fällt eine Gruppe von Zivilisten ins Auge. Mehrere hundert Männer mit Geländewagen, Minibussen und Privatfahrzeugen sammeln sich in der Nähe des Parlaments. Es sind durchtrainierte junge Männer, manche von ihnen vermutlich Mitglieder der Armee oder der Polizei, andere augenscheinlich Freiwillige. Sie verstauen schweigend Waffen, wechseln die Nummernschilder ihrer Fahrzeuge, nehmen Instruktionen entgegen. Ihr Verhalten erinnert an Szenen im bosnischen Krieg, wenn Gruppen von Freischärlern aufbrachen, um Dörfer zu überfallen, niederzubrennen und die Einwohner umzubringen. Ganz offensichtlich bereiten sie sich auf eine Fahrt in den Süden vor, als Provokateure.

Sympathisanten der Aufständischen in der Hauptstadt meinten dazu lakonisch, diese Sondertruppen würden schon von den Aufständischen erwartet. Nach den Worten eines ausländischen Lehrers, der noch kürzlich in Vlorä war, sind auf der Gegenseite ebenfalls Heißsporne am Werk. So hätten sich 150 Insassen eines Gefängnisses nach ihrer Befreiung durch die Aufständischen bewaffnet.

Der neugewählte Präsident Sali Berisha geht ein hohes Risiko ein. Gelingt es ihm nicht, den Aufstand in wenigen Tagen niederzuschlagen, wird das Land in zwei Teile zerfallen. Süden und Norden sind auch traditionell unterschiedlich, in Sprache, Kultur und Lebensstandard. Hinzu kommt, daß die griechische Minderheit im Süden hinter den Aufständischen steht. In einzelnen Dörfern wurden schon griechische Flaggen gesehen, so behauptet es jedenfalls der albanische Innenminister. Erich Rathfelder