Per Schiff illegal über die Adria

■ Italiens Küstenwache ist Tag und Nacht im Einsatz gegen den Exodus aus Albanien

Rom (taz) – Von oben aus besehen hat das Bild schon fast etwas Groteskes: Dutzende von kleinen Schiffen, die auf einem Meeresstreifen von sicherlich dreißig Kilometer Breite nahezu parallel südwestliche Richtung einhalten und die dann plötzlich wie auf ein Kommando abdrehen und in den verschiedensten Manövern auf der Stelle herumdümpeln. Doch „da ist kein gemeinsames Kommando“, lacht Armando D'Arringa von der Küstenwache über Funk zu den fünf Helikoptern hinüber, die er befehligt, „das sind lediglich wir, vor denen sie ausrücken“.

Seit einer Woche patrouillieren Dutzende von Hubschraubern Italiens adriatische Küste entlang, suchen Polizeiflugzeuge und auch einige Beobachter der Luftwaffe das Meer zwischen Albanien und Italien Tag und Nacht ab. Jedes Schiff, das geortet wird, bekommt eine Kennziffer und wird auf der Radarautomatik vermerkt. Dann setzen sich die Patrouillenboote in Fahrt und versuchen herauszufinden, ob hier nur harmlose Fischer – Pilotenfrotzelei: „Ei, gibt's die auch noch?“ – zu Gange sind oder eines der Hunderte von Wassergefährten, die Immigranten aus Albanien herüberschmuggeln wollen.

„Abstrus“, sagt Funker Walter Russo, „richtig abstrus ist, daß wir mittlerweile mehr denen mißtrauen, die wirklich fischen oder sonstwelche ehrbaren Tätigkeiten ausüben als denen, die eher offen auf unsere Küsten zusteuern.“ Im Laufe ihrer Wachtätigkeit haben die „Abwehrkünstler“, wie sie sich selber nennen, ihre Methoden zwar verfeinert – aber auch die Schmuggler: Die haben perfekt gelernt, sich so zu benehmen wie Fischer- oder Ferienboote – oder, seit neuestem, auch komplizierte Ablenkungsmanöver durchzuführen.

„Die Preise für einen heimlich Einzuschleusenden“, weiß Küstenwächter D'Arringa, „haben sich innerhalb eines Monats verdoppelt: Von 500 Dollar pro Albaner – außereuropäische Immigranten zahlten schon immer 700 Dollar – ist der Tarif nun schon auf 900 bis 1.000 Dollar geklettert. Das halten unsere Medien für typische Beutelschneiderei, Ausnutzung verstärkter Notlage, Parasitentum am Elend. Aber lassen wir mal einen Moment die Unmoral dieser Ausbeutung der Ärmsten Europas beiseite: Die Menschenschmuggler haben inzwischen auch enorm erhöhte Auslagen.“

Der Küstenwächter unterbricht sich einen Moment und deutet nach unten, wo drei Patrouillenboote ein kleines Schiff in die Zange genommen haben. Wir kreisen einige Zeit über der Stelle: Das Schiff dreht ab und fährt in östlicher Richtung zurück. D'Arringa nimmt seine Überlegungen wieder auf.

Tatsächlich, so rechnet er vor, muß heute „einer schon zwei oder drei Ablenkungsschiffe bezahlen, die unsere Aufmerksamkeit binden, damit er – vielleicht – das dritte oder vierte bis an die Küste durchbringt.“ Das ist eine Folge der verstärkten Präsenz italienischer Überwachung aus der Luft, einer Verdreifachung der Schnellboote und auch einer neuen „Rücksendemethode“, die die Behörden mehrmals – hart am Rande der Legalität – in Zusammenarbeit mit einigen albanischen Stellen praktiziert haben: Sie sorgten dafür, daß die Kapitäne und Steuerleute der gescheiterten Schiffe in Albanien an die Immigrationsaspiranten „ausgeliefert“ wurden, damit diese ihr Geld zurückbekommen.

„In jedem Fall ist das Einschmuggeln heute wirklich wesentlich schwieriger, aufwendiger und damit auch teurer als vorher“, sagt D'Arringa. „Und wenn sie am Ende bei einem Scheitern ihrer Fahrt das Geld noch zurückzahlen müssen, weil sie sonst gelyncht werden, verlangen sie halt vorher das Doppelte, um Rücklagen zu bilden.“

Trotz all der Überwachung glauben die Piloten ebensowenig wie die Schnellbootfahrer unten auf dem Meer daran, daß man die Immigranten abhalten kann, wenn die Situation in Albanien total außer Kontrolle gerät: „Wir wissen derzeit von etwa tausend bis tausendfünfhundert ständig zwischen Albanien und Italien hin- und herpendelnden Schmuggelschiffen“, sagt D'Arringa, „und mit der Dunkelziffer können wir durchaus das Doppelte oder Dreifache annehmen. Zur Zeit sind ständig etwa fünfzig bis hundert Schiffe unterwegs, von denen etwa ein Drittel schmuggeln, während der Rest ablenkt. Selbst von denen erwischen wir trotz unserer verstärkten Präsenz nur einen geringen Teil. Nun brauchen wir uns nur mal vorstellen, zwei- oder dreitausend Kutter und sonst irgendwelche mehr oder minder seetauglichen Fahrzeuge setzen sich gleichzeitig in Bewegung. Für die Überfahrt brauchen die besseren gerade einen halben Tag, die schlechteren einen ganzen – wie wollen wir die abwehren? Sollen wir etwa den Strand von Apulien mit Maschinengewehren und einem unübersteigbaren Wall ausrüsten und auf die Leute losballern?“

Die einzige Hoffnung der Küstenwächter besteht darin, daß sich die Schmuggler bei all dem Chaos nicht miteinander absprechen und aus Konkurrenzneid auch mehr gegeneinander als miteinander stehen. „Doch irgendwann werden sie checken, wie sie es machen müssen – und dann konzentriert einfach durchbrechen.“

Diese Angst haben offenbar auch die italienischen Behörden. Innenminister Giorgio Napoletano hat deshalb trotz seiner öffentlich hervorgekehrten Sicherheit, „daß wir keinen Anstrum bekommen“, die Präfekten Unteritaliens bereits in einem vertraulichen Runderlaß angewiesen, „Unterkünfte für möglicherweise in Massen durchbrechende Flüchtlinge bereitzustellen“ – nach Indiskretionen zwischen 40.000 und 50.000 Plätze.

Jedenfalls, meint zumindest der Bürgermeister von Bari, Simone di Cagno Abbrescia, „so wie vor sechs Jahren, als wir 15.000 Albaner im Fußballstadion zusammengepfercht haben, werde ich es nicht wieder machen.“ Gut gesagt. Nur: Wie man es anders bewältigen soll, das weiß auch der Bürgermeister nicht. Werner Raith