Erbakan sitzt die Pistole auf der Brust

■ Der islamistische türkische Ministerpräsident soll einen Katalog gegen "islamistische Reaktion" unterschreiben

Istanbul (taz) –Die Tage der islamistisch-konservativen Regierungskoaltion in der Türkei sind gezählt – jedenfalls, wenn Ministerpräsident Necmettin Erbakan nicht auf einen Forderungskatalog des Militärs eingeht. Am Montag drohte der Nationale Sicherheitsrat der Regierung mit „Sanktionen“, falls diese keine Maßnahmen zum Schutz der „laizistischen Republik“ ergreife. Der Generalsekretär des Sicherheitsrats, General Ilhan Kilic, bereitete einen „Empfehlungskatalog“ gegen die „islamistische Reaktion“ vor. Es gilt als äußerst unwahrscheinlich, daß Erbakan, der als Ministerpräsident Mitglied des Sicherheitsrats ist, den Katalog unterzeichen wird.

Durch diplomatische Erklärungen („Wir harmonieren mit den türkischen Streitkräften“) und Good-will-Besuche bei den den Parteivorsitzenden der parlamentarischen Opposition versucht Erbakan, den Konflikt zu deeskalieren – bisher ohne Erfolg. „Akzeptieren sie den laizistischen Staat, oder treten sie zurück“ sagte der Vorsitzende der Partei der demokratischen Linken, Bülent Ecevit. Oppositionsführer Mesut Yilmaz von der Mutterlandspartei bezeichnete die Regierung schlicht als „nicht normal“.

Im Grunde sind die Forderungen des Militärs für den islamistischen Politiker Erbakan nicht erfüllbar. Korankurse sollen künftig einer scharfen Kontrolle unterliegen. Die Erhöhung der Grundschulpflicht von fünf auf acht Jahre soll den religiösen Schulen die Schüler entziehen. Die Militärs fordern die Anwendung der „Revolutionsgesetze“ aus den Gründerjahren der Republik, wonach religiöse Trachten verboten sind. In dem Strafgesetzbuch sollen rigide Strafen gegen diejenigen vorgesehen werden, die einen theokratischen Staat fordern. Und ausgerechnet unter einem islamistischen Ministerpräsidenten soll der berüchtigte Paragraph 163 des Strafgesetzbuches wieder eingeführt werden – der vor fast einem Jahrzehnt abgeschaffte Passus diente der Verfolgung der islamistischen Opposition.

Obwohl Erbakan die offene Konfrontation mit dem Militär vermeidet, hat er zu erkennen gegeben, daß er nicht widerstandslos kapitulieren wird. „Die Gesetze werden vom Parlament verabschiedet“, erklärte er an den Sicherheitrat gerichtet. Der Rat habe nicht die Befugnis, „Parlament und Regierung zu etwas zu zwingen“. Doch Erbakan ist nach der faktischen Militärintervention in einer Zwickmühle. Einerseits kann er seine politischen Aufassungen nicht über Bord werfen, andererseits gefährdet er durch Verweigerung den Fortbestand der Regierungskoaltion. Nicht, weil ein Putsch des Militärs unmittelbar bevorsteht, sondern weil der Koaltionspartner sich auf einen Konfrontationskurs mit dem Militär kaum einlassen wird. Außenministerin Tansu Çiller, Vorsitzende der Partei des Rechten Weges, versucht Erbakan zum Einlenken zu bewegen. Vermehrt fordern Abgeordnete der Partei den Bruch der Koalition mit den Islamisten.

Erbakan könnte die Flucht nach vorn wagen und Neuwahlen ausschreiben. Ein Stimmengewinn für seine Partei könnte die Absichten des Militärs durchkreuzen. Doch Wahlen sind ein Risiko: Sie könnten zu einem Bündnis der verfeindeten bürgerlichen Parteien führen. Ömer Erzeren