Der Castor-Transport gerät ins Stocken. Tausende von Demonstranten blockieren die Straßen. Die Zufahrtsstrecken nach Gorleben sind unterhöhlt. Ob die Ladung heute wie geplant das atomare Zwischenlager erreicht, steht mittlerweile in Frage.

Der Castor-Transport gerät ins Stocken. Tausende von Demonstranten blockieren die Straßen. Die Zufahrtsstrecken nach Gorleben sind unterhöhlt. Ob die Ladung heute wie geplant das atomare Zwischenlager erreicht, steht mittlerweile in Frage.

Achtung Baustelle, Umleitung beachten

„Wir bringen den Castor um die Strecke“, verspricht ein Transparent, das die jungen Castor-Gegner mitten auf der Bundesstraße 191 über zwei große runde Strohballen aufgespannt haben. Von der Kreuzung hinter den Strohballen zweigt hier einen halben Kilometer östlich von Dannenberg die kleine Straße zum Castorkran ab, zur Umladestation für die Behälter. Und „um die Strecke“ ist der Sechser-Transport, der heute am Morgen in Richtung Gorleben zum Zwischenlager starten soll, hier vorerst bereits gebracht.

Zwischen der Kreuzung und einem Wasserwerfer haben – in Stroh und Schlafsäcke eingehüllt – rund 2.500 Blockierer die „saukalte“ Nacht von Montag auf Dienstag durchgehalten. Jetzt, um kurz vor zwölf Uhr, ruft der Lautsprecherwagen den Sprecherrat der Bezugsgruppen und „zum Misthaufen rechts auf dem Feld“ die Polizeikontaktgruppe zusammen. Links, gut hundert Meter vor dem Strohnachtlager, hievt gerade der Castorkran den fünften der sechs Atommüllbehälter in die Höhe. Später wird der grüne vierbeinige Kran den knallroten Behälter langsam zur Seite fahren, um ihn auf einem Tieflader abzusetzen.

Das sechsstündige komplizierte Umlanden halten die angereisten Grünen-Politiker für ein ziemlich sinnloses Unterfangen. „Neckarwestheim liegt für diese Behälter näher, als das 20 Kilometer entfernte Gorleben“, hat gerade Grünen-Vorstandssprecher Jürgen Trittin bei einer improvisierten Pressekonferenz verkündet. Und die findet medienwirksam in vorderster Blockadefront statt, ein paar Schritte vor Polizeikette und Wasserwerfer. „Es gibt zur Zeit zwischen dem Verladekran und dem Zwischenlager Gorleben keine sicher befahrbare Transportstrecke. Sicher ist nur den Weg zurück“. Mit diesen Worten fordert dann die wendländische Grünen- Abgeordnete Rebecca Harms die Umkehr der Transportbehälter. Der Beifall der jungen Leute ringsum ist ihr sicher. Daß der dritte Gorleben-Transport am besten umkehren sollte, das ist natürlich auch die Meinung von Joschka Fischer. Er betritt die Szene nur kurze Zeit später.

Etwas mehr als populäres Wunschdenken sind solche Sätze an diesem Dienstag mittag schon. Da sind nicht nur die 5.000 Blockierer von „X-tausendmal quer“, von denen jetzt natürlich nur ein Teil auf der Straße sitzt – viele sind zum Waschen oder Essen im einen Kilometer entfernten Camp bei Splietau, andere schlafen nach der kalten Nacht in der Sonne ringsum auf den Feldern.

Jochen Stay, einer der Organisatoren des Camps, stellt zu Recht die Frage, ob die riesige Sitzblockade, die den Transport voraussichtlich heute morgen erwarten wird, überhaupt noch zu räumen ist. Zumindest wenn die Polizei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit treu bleiben wollte und auf den Einsatz von Knüppeln und Hochdruckwasserwerfern verzichtete.

Selbst der Landkreis Lüchow- Dannenberg hält – wenn auch aus anderen Gründen – das Zwischenlager zu diesem Zeitpunkt für nicht mehr erreichbar. Weder für den normalen Verkehr, geschweige denn für den schweren Castor- Umzug sind die Straßen noch passierbar.

Die südliche Route hat die Einsatzleitung offenbar aufgeben müssen. „Beiderseits von Splietau ist die Straße auf Hunderten von Metern an zahlreichen Stellen untertunnelt“, sagt die Kreisverwaltung. Ähnlich sieht es an der nördlichen Route zum Zwischenlager aus. An der dortigen Kreisstraße sei hinter Quickborn in Richtung Langendorf „auf 200 Meter Länge der Fahrbahnrand abgegraben“, an 15 bis 20 Stellen seien Tunnel unter den Straßenbelag gegraben worden.

Die nördliche Strecke hat die Polizei inzwischen völlig in Beschlag genommen. Alle 20 Meter steht ein Mannschaftswagen. Die Pressesprecher der Einsatzleitung versichern immer wieder, daß die Straße trotz der Buddelei weiter passierbar ist. Die Kreisverwaltung sieht das anders. Die Löcher und Unterhöhlungen könne man nicht einfach von der Seite wieder zuschütten. „Niemand weiß, wie weit der Unterbau gelockert worden ist“, heißt es beim Verkehrsamt. „Befahrbar ist diese Straße erst wieder, wenn man zunächst die Fahrbahndecke entfernt und dann einen neuen, festen Unterbau und eine neue Fahrbahn aufbringt“, sagt ein Sprecher des Verkehrsamts.

Bei den Blockierern gehen derweil Gerüchte über mögliche Ausweichrouten um. Da sind angeblich mobile Brückenbau- und auf den möglichen Umwegen Vermessungstrupps gesichtet worden. Die Castor-Gegner befürchten, daß der Transport sich am Ende über Feldwege und kleinste Straßen quälen könnte.

In Hitzacker standen Montag abend um elf Uhr weit über tausend Jugendliche und Bürger an den Schienen. Je länger sich der Castor-Zug verzögerte, desto mehr Schotter wurde aus dem Gleisbett entfernt. Längst nicht alle Unterhöhlungen waren repariert, als dann der Zug darüber fuhr.

Einen Zwischenfall, der genauso auf das Konto angetrunkener schwarzgewandeter junger Leute wie auf das des Bundesgrenzschutzes geht, gab es gegen Mitternacht an jener Esso-Tankstelle, an der sich schon in den vergangenen Jahren die Castor-Gegner mit Süßigkeiten und Chips eindeckten. Auf einen einzelnen Flaschenwurf hin machte der Bundesgrenzschutz einen plötzlichen Ausfall. Etwa 30 junge Leute gruben daraufhin Steine aus und warfen sie. Ein Wasserwerfer wurde eingesetzt. Ein Beamter erlitt durch einen Steinwurf eine Verletzung am Kinn, ein anderer Prellungen. Die streitenden Parteien wurden am Ende von Vertretern der Bürgerinitiative und der Grünen-Abgeordneten Harms zum beiderseitigen Rückzug bewegt.

Jürgen Voges, Dannenberg