Skelettierung der Geschichte

■ Dimiter Gotscheff inszeniert im Malersaal Germania 3. Gespenster am toten Mann, Heiner Müllers letztes Theaterstück von 1995

„Heilige Einfalt“, kommentiert Heiner Müller im Gedicht „Ajax zum Beispiel“den eigenen Versuch, eine Tragödie über Deutschland zu schreiben. Dennoch: Den Krebstod vor Augen, beschwört er im fragmentarischen Vermächtnis Germania 3. Gespenster am toten Mann nochmals altes, oft genutztes Material: Seine Gedanken über die „teutsche Misere“und die Geister der deutschen Vergangenheit, die ihn sein Leben lang nicht losgelassen haben. Müller will es ein letztes Mal wissen: Und wiederum (be)schreibt er auch sein Scheitern als Konfrontation zwischen dem Text und dem Theater, zwischen dem Autor und seinen Figuren.

Aus der Konfrontation von Müller-Texten mit dem Theater bezieht der bulgarische Regisseur Dimiter Gotscheff Impuls und Inspiration für seine Theaterarbeit. Weil sie ihn zur Suche zwingen. „Jede Arbeit mit Müller-Texten ist ein neuer Anfang. Eine Arbeit an sich selber. Sie wandern durch unsere Köpfe. Und immer die Frage: Wie macht man sowas?“

Mit der Malersaal-Premiere seiner Inszenierung von Germania 3 ist für Gotscheff der Prozeß des Suchens nicht abgeschlossen. Die Verdichtung der Figuren, die Verdichtung der Sprache in Müllers (Bruch)Stücken läßt den Regisseur nicht los, ist ihm immer wieder neue Herausforderung. „Ich versuche, ein Mosaik zu entwerfen, ohne die Sprünge in diesem Mosaik zu kitten. Es muß sich so gestalten, daß die Zeit, über die Müller geschrieben hat, deutlich wird. Und am Schluß vielleicht ein Geschichtsbild entsteht.“

Hitler und Stalin, mit denen Müller sich immer wieder beschäftigt hat, läßt der sterbenskranke Dramatiker als „Gespenster am toten Mann“erscheinen: „Die geschichtlichen Figuren werden skelettiert und vernichtet.“Gotscheff zeigt sie auf der Bühne nicht an Äußerlichkeiten erkennbar, sondern entlarvt sie mit Müllers Sprachzeichen. Von den Schauspielern erfordert dies höchste Konzentration. „Alles Floskelhafte muß wegbleiben, damit sie die Figuren in ihrer Essenz treffen.“Daß es Gotscheff gelingen könnte, aus der Konfrontation von Text und Theater zu einer adäquaten Form zu finden, hatte Müller seinem Regisseur-Freund schon 1983 brieflich bescheinigt. An der Philoktet-Inszenierung im Dramatischen Theater Sofia lobte er: „In der Körpersprache eurer Aufführung habe ich diese Übersetzung von Text in Theater gesehen, die Transformation der Fabel vom Stellplatz der Widersprüche zur Zerreißprobe für die Beteiligten, den Widerstand der Körper gegen die Notzucht durch den Sachzwang der Ideen.“

Thomas Rössl

Premiere: Fr, 7. März, 20 Uhr, Malersaal des Schauspielhauses