Kindermund tut Wahrheit kund

„Ein Ellenbogen kann von makelloser Schönheit sein, aber er wird nie ein solches Hallo verursachen wie ein Penis.“ Unangekränkelt vom Jetztzeitzynismus: „Das kleine Arschloch“  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

In Deutschland hat man Probleme mit dem Lachen, denn „der Humor ist der Pflege und Ausbildung des Schönen und Erhabenen im ganzen nicht günstig: Indem er darauf hinweist, daß alles irdische Wollen Stückwerk ist und daß alle Bitternisse des Schicksals doch ertragen werden können, ermangelt er der Kräfte, die den Willen anspornen und zu höherer Betätigung entflammen“, heißt es in Meyer's Konversationslexikon von 1909.

Auch heute noch schreibt man „lustig“ automatisch erst mal in Anführungszeichen, in Anknüpfung an Adorno, der abschätzig von einem „zur Norm erhobenen Infantilismus“ sprach, und um zu signalisieren, daß man das doch alles eher problematisch findet: die Anknüpfung an die Ufa-Komödientradition, mit der sich der deutsche Film zu erholen sucht zum Beispiel, die eher prolligen Trashdinge à la „Manta – Der Film“, „Werner – Das muß kesseln“ (erfolgreichster Film 1996) und so weiter, wobei letztere zumindest irgendwie noch den Charme des suberversiv-schlechten Geschmacks hatten; oder auch die seltsamen Streifen von Helge Schneider, über deren Erfolg man sich nur wundern kann. (Selbst die Zunahme des Haschischkonsums seit 1989 kann das nicht so ganz erklären.) Nun also „Das kleine Arschloch“ als Film.

Ein erfolgsgewöhntes Team machte sich an die Arbeit: Die Produktion übernahm Hanno Huth („Manta“, „Werner“ und so weiter), Regie führte Michael Schaack, der nicht nur für die Werner-Sachen verantwortlich zeichnete, sondern 1993 auch diese gräßliche Werbefigur der Post („Rolf“) erfunden hat, und eben Walter Moers, der angeblich mal das Angebot abgelehnt hatte, die Streiche seines kleinen Helden als Realfilm verfilmen zu lassen. (Der Film hätte wohl auch nur die Zyniker erfreut.)

1990 erblickte das kleine Arschloch das Licht der Welt. Mittlerweile hat es sich ungefähr eine halbe millionmal verkauft. Es ist – wenn man das so sagen kann – kultig, wie man früher so sagte.

Neben den sieben Comicbänden vertreibt der Eichborn-Verlag 150 verschiedene Artikel rund um den kleinen Helden: Anspitzer, Stifthalter, Hemden, Unterhosen, Socken, Käppis, Pudelmützen, Schlüsselanhänger, Aschenbecher, Flaschenöffner, Hampelmänner usw. Im Gegensatz zu seinem anderen Helden, dem lieben Käpt'n Blaubär, blieb das Arschloch jedoch auf den deutschsprachigen Markt beschränkt.

Nun also der Film – „...ein Cartoon-Vergnügen der neuen Generation“, wie es in dem flotten Funkfeature heißt, das sich auf der CD findet, die Senator-Film allen faulen Journalisten als Gedächtnisstütze mitgegeben hat. „Urkomisch, saufrech und nicht immer ganz kompatibel zum guten Geschmack“, ein „vorlauter Antiheld“. „Sie wollen einen fröhlichen, märchenhaften Trickfilm mit hübschen Musical-Melodien und einer politisch korrekten Geschichte sehen? Gehen Sie ins Kino nebenan!“ und so weiter.

Lupenreine Haschrebellen-Utopien

Das Lustige ist nun, daß „Das kleine Arschloch“ eigentlich ganz genau das ist: Also wunderhübsche angenehme Farben – meist Pastelltöne –, in denen man sich gern ausruht, runde Formen, ein ganz und gar unaggressiver Humor, eine flotte Handlung, die auf eine allzugroße Ansammlung vordergründiger Gags verzichtet, und ganz unangekränkelt vom Jetztzeitzynismus zitiert der Film lupenreine 68er-Hippie- oder Haschrebellen- Utopien.

Die Größe der Scham- lippen errechnend

In erster Linie lebt der Film vom üblichen: Kindermund tut Wahrheit kund; die Abenteuer des „kleinen Nick“ in der Gegenwart sozusagen.

Wenn's um Sex geht, ist es immer lustig; wenn der Opa steif und fest (kicher) behauptet, maßlose Masturbation hätte ihn zum Krüppel gemacht, wenn das kleine Arschloch in einem Biologiereferat über die Faszination der Geschlechtsteile berichtet: „Ein Ellenbogen kann von makelloser Schönheit sein, aber er wird nie ein solches Hallo verursachen wie ein Penis oder eine Vagina“, „der Penis ist der Mercedes unter den Geschlechtsteilen“ und ist „normalerweise 60 Zentimeter lang“ und „drei Kilo schwer“, die Größe der Schamlippen errechnet man, indem man die Größe der Ohrmuschel mit der Breite des Mundes multipliziert und so weiter.

Besonders hübsch und durchaus psychedelisch ist eine Szene, in der der experimentierfreudige juvenile Held dem lieben Nachbarshund Peppi LSD in die Wurst tut, um zu beweisen, „daß Hunde auf stark befahrenen Autobahnen unter Einwirkung von LSD zu stark vermindertem Reaktionsvermögen neigen“.

Im schicken Finale des Films gibt es die Abschlußfeier des Adolf-Hitler- resp. Albert- Schweitzer-Gymnasiums. Das kleine Arschloch hat den Eltern und Lehrern Psilocybin in die Waldmeisterbrause getan und animiert, nachdem er sie beleidigt hat – „Ihr habt alle gefickt“ (Waechter-Zitat!) –, die Angeknallten zur Revolution. Alle ziehen sich aus. Der Schulleiter steckt die Schule an; der Großvater (gesprochen von Helge Schneider) begattet einen großen Kürbis (wohl auch, um die „Peanuts“ zu zitieren), und die ganze Bande zieht mit dem Ruf „Friede den Hütten – Krieg den Palästen“ brandschatzend, sexmachend durch die Gegend und entrollt vom Kirchturm der örtlichen Kathedrale ein Transparent mit ihrem revolutionären Programm: „Ficken“. Irgendwie wirkt das alles altmodisch, ist aber trotzdem sehr schön.

Nebenbei: Zum Filmstart gibt es noch ein Mega-Kino-Gewinnspiel mit einem pikanten Hauptpreis: Ein VW-Käfer im Kleines-Arschloch-Design.

„Walter Moers' ,Das kleine Arschloch‘“. Regie: Michael Schaack und Veit Vollmer. Drehbuch und Songtexte: Walter Moers. Musik: Wolfgang von Henko. Deutschland 1996, 81 Min.