■ Christdemokraten-Chefs gegen EU-Beitritt der Türkei
: Rache an Ost-Rom

Es gibt viele Gründe, um der Türkei den Weg in die Europäische Union zu versperren. Da regiert ein islamistischer Ministerpräsident, der im Wahlkampf die Wahnvorstellung vom Islamischen Dinar als Konkurrenz zum Ecu flott präsentiert hat. Da formulieren Militärs Politik mit Panzern. Derweil sind sie damit beschäftigt, eben jenen Ministerpräsidenten mit einem Memorandum zu stürzen. Und mit Tansu Çiller tummelt sich eine Frau – zuerst als Ministerpräsidentin, dann als Außenministerin – auf der Politbühne, die soviel Vertrauen einflößt wie der als Großmutter verkleidete Wolf. Darüber hinaus ist die Lage der Menschenrechte katastrophal. Todesschwadrone morden, Intellektuelle werden eingesperrt, und seit über einem Jahrzehnt tobt ein dreckiger Krieg in den kurdischen Regionen. Schließlich sprechen die ökonomischen Fakten gegen eine EU-Mitgliedschaft.

Dies alles wird bei dem Beschluß der christdemokratischen Regierungschefs in Brüssel, die Türkei aus der Anwärterliste für EU-Mitgliedschaft zu streichen, eine Rolle gespielt haben. Doch es ging um mehr, um die Grundsatzentscheidung, ob die muslimischen Türken Platz in Europa haben. Eben darum spricht der belgische Sprecher der Runde, Wilfried Martens, von Europa als dem „Zivilisationsprojekt“.

Das „Zivilisationsprojekt“ hat kulturell-religiös sauber zu bleiben. Die Osmanen, die politisch Europa näher als Asien standen und das byzantinische Imperium mehr oder weniger fortgeführt haben, sollen aus der europäischen Geschichte getilgt werden. Vergessen auch die republikanisch-säkulare Zäsur – ob Frauenwahlrecht oder bürgerliches Gesetzbuch – in der Türkei vor über siebzig Jahren. Unerheblich, daß – trotz Krisen und Militärinterventionen – die Türkei als einziges muslimisches Land seit einem halben Jahrhundert das Mehrparteiensystem und Wahlen kennt. Ignoranz gegenüber dem Potential demokratischen Aufbruchs in der Türkei, Ignoranz davor, daß 60 Millionen sich Europa zugehörig fühlen. Die aktuelle politische Lage spielte beim Brüsseler Gipfel nicht die entscheidende Rolle, zumal er ja auch formal nichts zu entscheiden hatte, sondern „nur“ Marksteine zwischen Geschichte und Zukunft setzte. Es siegte die irrationale Angst vor dem Fremden. Letztendlich wurde der Racheakt an dem ungeliebten Ost- Rom exekutiert. Ömer Erzeren