Schweizer Gold für Holocaustopfer

■ Bundespräsident Koller kündigt Gründung einer Solidaritätsstiftung an

Zürich (taz) – Sieben Millarden Franken aus den Goldreserven der Nationalbank will die schweizerische Regierung einer zu gründenden „Schweizerischen Stiftung für Solidarität“ zur Verfügung stellen. Eine von deren Aufgaben: Unterstützung von Holocaustopfern.

Die Gründung der Stiftung kündigte Bundespräsident Arnold Koller am Dienstag in einer Rede vor der Vereinigten Bundesversammlung in Bern an. Gerechnet hatte damit fast niemand – welchen Auftrag in Sachen Vergangenheitsbewältigung das Regierungsgremium ihrem Vorsitzenden gegeben hatte, war zuvor nicht an die Öffentlichkeit gesickert.

Die Erwartungen von links bis rechts an Kollers Rede waren gespannt. Würde der Bundespräsident die sogenannte Aktivdienstgeneration der über 75jährigen befrieden, die in der Revision des schweizerischen Geschichtsbildes und in Zahlungen an Opfer des Holocaust nichts als persönliche Beleidigung sieht? Würde er Verantwortliche benennen, die in Regierung, Nationalbank und Privatwirtschaft Entscheidungen trafen, die weit über die Wahrung legitimer Interessen hinausgingen und die Schweiz aus dem Zweiten Weltkrieg heraushielten? Würde er den Weg weisen, wie die Lehren aus der Vergangenheit zum Beispiel in der heutigen Flüchtlingspolitik umzusetzen seien?

In seinem Blick zurück machte es Koller allen ein wenig recht. Es sei nicht zu spät, sich der Vergangenheit „offen, selbstkritisch, aber auch in Würde zu stellen“, erklärte er. Und es bestehe kein Zweifel, „daß sich die Wiederkehr von Unrecht aus dem Schweigen und der Lähmung des Gewissens nährt“. Außerdem müsse dem Eindruck entgegengetreten werden, daß sich die Schweiz „nur unter Druck verständnisvoll mit der Vergangenheit“ befasse.

Mit seiner konkreten Ankündigung der Gründung einer Stiftung für Holocaustopfer wagte sich der Präsident der Eidgenossenschaft dann weit aufs Glatteis. Die „Schweizer Stiftung für Solidarität“ soll Hilfeleistungen an Menschen in großer, unverschuldeter materieller Not finanzieren sowie an Opfer von Folterungen und anderen Menschenrechtsverletzungen, darunter auch die Überlebenden des Holocaust. Die Mittel dafür liegen in den Tresoren der Nationalbank: Gold im Wert von sieben Milliarden Franken. „Bei sorgfältiger Bewirtschaftung könnte im längerfristigen Durchschnitt mit jährlichen Erträgen in der Größenordnung von mehreren hundert Millionen Franken gerechnet werden“, versprach Koller.

Wie die Schweizer Regierung plötzlich Zugriff auf so viel Geld bekommt, erläuterten der Finanzminister Kaspar Villiger und der Präsident der Nationalbank, Hans Meyer, anschließend auf einer Pressekonferenz. Die Aufwertung der Goldreserven macht es möglich. Bisher wurden sie in den Bilanzen mit nur 5.000 Franken pro Kilo geführt, der aktuelle Marktwert ist ungefähr 17.000 Franken.

Auch Soforthilfe aus den Staatstresoren stellte der Bundespräsident in Aussicht: Für den Spezialfonds für Holocaustopfer, der von den Schweizer Banken bereits mit 100 Millionen Franken dotiert worden ist und für den die Wirtschaft weitere Gelder versprochen hat, will die Nationalbank einen gleich hohen Betrag zur Verfügung stellen.

Vorläufig ist dies jedoch Zukunftsmusik: Die Entscheidungshürden stehen nicht nur im Parlament, auch das Stimmvolk hat mitzureden. Die Goldparität ist in der Schweizer Verfassung festgeschrieben. Mit der Einrichtung des Solidaritätsfonds sinkt sie. Verfassungsänderungen bedürfen nicht nur der Mehrheit in einer Volksabstimmung, sondern auch der Zustimmung von mindestens der Hälfte der 26 Kantone. Und die Ausführungsgesetze, aber auch schon die Zahlung der Nationalbank an den Spezialfonds, können ebenfalls in einem sogenannten fakultativen Referendum angefochten werden: Wenn 50.000 SchweizerInnen es verlangen, muß auch über sie eine Volksabstimmung stattfinden. Yvonne Lenzlinger