Rostige Wunde im Bücherrücken

■ Die Stabi zeigt in einer Ausstellung, was sie in den vergangenen 30 Jahren restauriert hat

Bücher frieren nicht. Im Gegenteil: Je älter sie werden, desto kälter und dunkler mögen sie es. Etwa 16 Grad am liebsten, bei 50-60 Prozent Luftfeuchtigkeit. Und Licht aus. Leider kollidiert die artgerechte Buch-Umgebung mit den Bedürfnissen der Menschen, und so müssen die meisten Bände auf Kälte und Finsternis verzichten. Bibbernd im Düstern liest es sich eben schlecht.

Bücher in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek (Stabi) haben es da besser, zumindest die restaurierten. Sie lagern im Tresor und werden nur für wenige Wissenschaftler herausgeholt. Oder für Ausstellungen, wie in den kommenden vier Wochen: In dieser Zeit zeigt die Restaurationsabteilung der Bücherei ihre Arbeiten seit Ende des zweiten Weltkrieges.

Vorher-Nachher-Fotos und Vitrinen voller Ahlen, Zirkel und Spachtel sollen das Schaffen der Restauratoren illustrieren. Das gelingt jedoch nur mäßig. Zwar pinnt neben jedem Buch ein Zettel, auf dem Erneuerungsschritte und Schäden aufgelistet sind. „Farbfraß“steht da, oder „Roter Verfall“. Was immer das ist: Es scheint zu kompliziert zu sein, um es kurz zu erklären. Und wer weiß schon, daß Weizenstärke und Hasenleim Klebstoffe sind, mit denen seit 1000 Jahren Bücher geflickt werden? Daß die Besucher mit dem ausliegenden Glossar, einem fünfseitigen Restauratoren-ABC, herumlaufen und Begriffe nachschlagen, kann wohl niemand erwarten.

Der Erklärungsmangel ist schade, aber nicht tragisch: Die etwa 40 Bücher stehlen den Hintergrundinfos sowieso die Schau. Ein hebräisches Gebetbuch aus dem 13. oder 14. Jahrhundert wirkt selbst mit ehemals angeschimmelten Seiten edel, im Nachbarkasten liegt ein 300 Jahre alter Kalender. Auch das wahrscheinlich älteste Buch in Hamburg wurde in der Stabi restauriert. Es gehörte zur Dombibliothek, die Anfang des 19. Jahrhunderts geschlossen wurde. Jetzt thront das Evangelia aus dem 11. Jahrhundert in einer Ausstellungvitrine. Die Stabi-Restauratoren Jan op de Hipt und Brigitte Hauswaldt haben den Elfenbeinumschlag erneuert, Dreck und Schimmel entfernt.

Die Fotos ihrer Arbeit erinnern an Szenen aus dem Operationssaal. Menschen in weißen Kitteln beugen sich über Buchkörper, schneiden und bedienen Maschinen. Ein Loch, das ein rostiger Nagel in den Elfenbeinumschlag bohrte, wirkt vergrößert wie eine schorfige Wunde. Passend dazu hängen Zeichungen von der Decke, die einzelne Buchteile benennen. Bände haben Köpfe und Füße, lernen die Betrachter. Und einen Fußschnitt, einen Spiegel sowie Gelenke. Vor allem aber sind sie schön – besonders, wenn sie restauriert sind.

Judith Weber

Staats- und Universitätsbibliothek, Ausstellungsraum, bis zum 12. April