Mit dem Rücken zur Wand

Vom Werbefilmer zum „Directors Director“: eine Retrospektive der Werke des 56jährigen iranischen Regisseurs Abbas Kiarostami im Arsenal  ■ Von Gudrun Holz

Für seinen Film „Hausaufgaben“ („Maschgh e schab“), ein Recherchestück von 1990, inszenierte Abbas Kiarostami eine Verhörsituation: Die Schulkinder, eben noch neugierig in die neben dem Schulweg postierte Kamera linsend, stehen unversehens buchstäblich mit dem Rücken zur Wand.

Daß der Spannungsbogen hier trotz Spielfilmlänge mit narrativen Werken konkurrieren kann, ist eine Eigentümlichkeit des ehemaligen Werbefilmers Kiarostami. Kinder beziehungsweise die von der Kamera eingenommene kindliche Perspektive sind das gemeinsame Vehikel der knapp ein Dutzend Arbeiten Kiarostamis, die das Arsenal als Werkschau zeigt.

Die scheinbare Lässigkeit, mit der die Spielfilme und kurzen Formate des iranischen Regisseurs erzählen, trifft sich in „Hausaufgaben“ mit einem insistierenden Blick in die geängstigten Gesichter von Zweitkläßlern in Großaufnahme. Eine ganze Schulklasse läßt er aufmarschieren, um jeden einzelnen peinlich und peinigend genau zu befragen: Wann macht ihr eure Hausaufgaben? Wer hilft euch dabei? Seht ihr lieber Zeichentrickfilme im Fernsehen? Sind eure Eltern lesekundig? Bezieht ihr Schläge? Mit dem Gürtel?

Was als lockere „filmische Suche“ begann, wird zusehends zur soziologischen Untersuchung, werden die kleinen Jungen zu Zeugen einer nicht nur in Erziehungsfragen überforderten autoritären Gesellschaft. Bis die Kleinen endlich ausspucken, was genau sie tun, braucht es Fingerspitzengefühl und sanfte Wortgewalt. Kiarostami, mit Sonnenbrille an einem Behördenschreibtisch, dahinter sein Kameramann Farhad Saba, geben das perfekte Geheimdienstduo. Am drastischsten gelingt die „Wahrheitsfindungsmethode“ bei einem Jungen, der kaum ohne seinen Freund zum Sprechen zu bringen ist und weinend, jede Antwort stockend hervorbringend, dabei wie um Gnade bittend, den kindlichen Zeigefinger immer wieder wie ein Hälmchen hebt. Weit entfernt von Rührseligkeit, dafür um so unbestechlicher wird eine konditionierte und abgestrafte Jugend abgebildet.

Am Schluß wird auf den Ton verzichtet. Zu sehen ist der Schulhofappell, anfangs noch mit Chomeini-Litanei, Gebetsformeln und antiwestlichen Slogans. Als das wegfällt, offenbart sich auch der ironisch-utopische Ansatz Kiarostamis: Man entdeckt plötzlich an den uniform exerzierenden Schülern Spuren von Individualität.

„Nichtkonforme Einstellungen“ allerdings warf man Kiarostami offiziellerseits ausgerechnet bei einem Auftragswerk über Handcremes vor. (Er hatte die traditionelle Arbeitsweise der Kameraleute kritisiert.) Mit einem Ouevre von hundertfünfzig Trailern wurde er – später mit dem Rosselinipreis von Cannes und beim Filmfestival von Locarno geehrt – erst einmal Werbefilmer aus Überzeugung und mit zeitlicher Verschiebung von drei Jahrzehnten schließlich einem europäischen Publikum bekannt.

Der Werdegang zum späteren Regisseur von zwölf Spielfilmen (u.a. „Quer durch den Olivenhain“, 1994; „Wo ist das Haus meines Freundes?“, 1987) nimmt sich wie ein pittoreske Slalomstrecke aus: Als der 1940 in Teheran geborene Kiarostami im ersten Anlauf an der Kunsthochschule abgelehnt wird, verdingt er sich erst einmal als Straßenpolizist. Erste Medienpräsenz erlangt er Anfang der Sechziger mit einem komödiantischen Werbeclip über Isotherme- Boiler. „Ich schrieb ein Gedicht über Boiler“, kommentiert Kiarostami trocken. Die Filmstelle „zur Bildung und Erziehung der Jugend“ war dabei eine Nische und bald der exklusive Kiarostami- Produzent. Eigentlich ein Projekt der Schah-Gattin, überstand die Institution den Machtwechsel 1979. Ein Directors Director – der dabei Regisseure von A (wie Akira Kurosawa) bis Q (wie Quentin Tarantino) auf sich vereint – ist Kiarostami trotzdem geblieben.

Noch bis 12.3. im Arsenal, Welserstr. 25