Er? Sie! Terry.

„Ich probiere, wie man auf mich als Mann reagiert“: Die Frau im Herren-Outfit ist ein Drag King  ■ Von Monika Hinner

Die schöne blonde Kellnerin des Restaurants hatte nur Augen für ihn, den gutaussehenden Mann im perfekt sitzenden Smoking. Sie erwiderte sein charmantes Lächeln, blickte sehnsüchtig auf die herausfordernden Lippen unter seinem gepflegten Schnauzer. Schob einen Zettel mit der Rechnung über die Theke, auf dem ihre Telefonnummer stand. Er ist der Mann, den Frauen lieben. Er ist Gentleman in Reinkultur. Er ist ein kerniger Kerl. Er? Sie! Terry. Terry E. Taylor, 34 Jahre alt, geboren in Washington D.C., Wahlberlinerin. Und: Drag King. Eine Frau im Herren-Outfit.

Nur das? Eine Inszenierung des anderen Geschlechts? Oder doch ein Stück Identität? „Ich glaube, schon als ich geboren wurde, sollte ich ein Mann sein“, überlegt Terry und dreht eine Zigarette zwischen ihren Fingerspitzen. „Warum ich in einem Frauenkörper stecke, weiß ich nicht.“

Das Mädchen, das an ihrem Tisch in der Kreuzberger Szenekneipe Alibi vorbeiläuft, stutzt, als sie Terrys Baßstimme hört. Sie riskiert einen zweiten Blick, sieht Terrys schmale Schultern, den zart wirkenden Körper. Auch ohne Maßanzug und Echthaarbart im Gesicht sorgt die Amerikanerin für Verwirrung. Das weiß Terry.

Es gehört zu ihrem Alltag. Schon früher sei sie „ständig für einen Mann gehalten worden“, erzählt sie. Sie habe sich mit der Zeit daran gewöhnt, „aber manchmal nervte es mich doch“. Beispielsweise wenn sie regelmäßig am Flughafen bei der Personenkontrolle an den männlichen Beamten verwiesen wurde. Erklären mußte, daß sie eine Frau ist.

Irgendwann reichte es ihr. Sie drehte den Spieß um, schlüpfte bewußt in Männerklamotten, übte einen breiten Gang. Der Flirt im Restaurant mit der blonden Hetera war ihr erster Versuch als Drag King. Und gleich ein Volltreffer. Das war vor einem Jahr. „Ich probiere aus. Ich möchte sehen, wie andere auf mich als Mann reagieren“, sagt sie und lächelt verschmitzt. Ihr nächster Coup soll in Tom's Bar gelingen, einer Schwulenkneipe. Zutritt nur für Männer.

Terry spielt Mann. Lustvoll. Neugierig. Siedelt sich „irgendwo zwischen Casanova und Eddie Murphy“ an. Sie spielt mit männlichen Attributen. Gibt sich gentlemanlike oder machohaft. Nein, von Judith Butler, dem aktuell herausragenden Kopf der Gender- Debatte, hat sie noch nichts gehört. Die vorwiegend akademischen Diskussionen um die Dekonstruktion von Geschlecht sind ihr fremd. „Ja klar, die Gesellschaft macht die Unterschiede zwischen Frauen und Männern“, sagt sie. Aber es sei keine politische Überzeugung, die sie zu ihrem Spiel mit Geschlechterrollen motiviere.

„Ich bin nicht so feministisch“, wiegelt sie ab. Und fügt nach kurzem Zögern hinzu: „Ich bin ein Mensch, der Spaß haben möchte im Leben.“

Deshalb, sagt sie, nehme sie die Maskerade auch nicht so ernst wie die Drag Queens, den schwulen Pendants zu den Drag Kings. Terry ist im Kreuzberger Szeneschuppen SO36 Mädchen für alles. Nur gelegentlich schmeißt sich die 34jährige in Schale, etwa für einen Auftritt oder wenn sie mit ihrer Freundin auf eine Lesbenparty geht. „Viele Drag Queens möchten wirklich Frauen sein“, meint sie, zögen im Gegensatz zu ihr eine Geschlechtsumwandlung in Betracht. Terry stopft sich auch keinen Dildo in die Hose wie manche King-Kolleginnen. Denn auch „ohne das Ding zwischen den Beinen“ fühle sie sich als Mann, erläutert sie. Meistens jedenfalls. Sie habe aber auch ihre femininen Seiten, fährt Terry nach einer kurzen Pause fort und lächelt vorsichtig. Räuspert sich dann und sagt bestimmt: „Ich kann das Beste aus beiden Welten leben.“

Feldstudien in der Männerwelt hat sie auf Baustellen betrieben, wo sie 15 Jahre lang als carpenter arbeitete. Der englische Begriff gefällt ihr besser als der deutsche: „Bei Zimmermann oder Zimmerfrau müßte ich mich ja auf ein Geschlecht festlegen“, erklärt sie. Die Amerikanerin kam im Juni vor zehn Jahren nach Berlin. Zusammen mit ihrem früheren Ehemann, der hier für die U.S. Army Dienst schob. Geliebt habe sie ihren Mann nie, erzählt Terry rückblickend, schließlich habe sie ihr Herz ihr Leben lang immer nur an Frauen verloren. „Ich hätte auch King-Kong geheiratet, nur um aus Washington rauszukommen.“

Terry will sich zukünftig auf ihre Karriere als Jazz- und Soulsängerin konzentrieren. Bei „Washington“ zieht sie die Augenbrauen zusammen. Sie findet die Hauptstadt der USA „einfach furchtbar“. Mittlerweile hat Terry ihrer Familie Fotos von sich als Drag King geschickt. Die Reaktion fiel anders aus, als sie 16 Jahre alt war. Damals hatte sie ihre ältere Schwester als Lesbe geoutet. Ihre Mutter hatte sie daraufhin gefragt, ob sie in eine Nervenklinik wolle. Und heute? „Meine Mutter fand mich auf den Drag-Fotos richtig süß“, so Terry. Und mit einem breiten Grinsen: „Sie steht auf ihre kleine Sohntochter.“