Die Rückkehr in die Zukunft

Wie Trainer Volker Finke versucht, mit einer Rückbesinnung auf alte Arbeitsweisen das Team des Bundesliga-Letzten SC Freiburg vom Streiten abzubringen  ■ Von Peter Unfried

Freiburg (taz) – Volker Finke hat eine Quote, von der andere nicht zu träumen wagten. Selbst Sport- Bild meldete dieser Tage resigniert 77prozentige Zustimmung zu Präsident Achim Stockers Festhalten am Trainer. War der „branchenübliche Beschuß“ (Süddeutsche Zeitung) nur eine mickrige Fehlzündung, bestehend aus kaum mehr als einem zeternden Altfunktionär, einem Freiburger Anzeigenblatt-Kommentar („Finke raus!“) und einigen kleineren Branchenreflexen?

Oder besteht die Welt aus Menschen, die der Überzeugung sind, des Trainers Sachkompetenz sei so groß, daß es an ihm nicht liegen könne, daß das Team scheinbar abgeschlagen mit sieben Punkten Rückstand auf den rettenden Platz 15 Bundesliga-Letzter ist?

Es gibt schon Leute in Freiburg, die glauben, daß Finke Schuld hat. Auch in der Mannschaft. Es ist in dem Fall aber möglicherweise weniger eine Frage fachlicher als moralischer Verfehlungen.

Im Besprechungskabuff des Dreisam-Stadions sitzt Volker Finke und gibt sich ahnungslos.

Er gibt sich nie ahnungslos. Er sagt barsch: „Moralische Verfehlungen ... wirft man mir vor?“

Darum, sagt Finke, gehe es keinesfalls. Irgendwann spricht er aber doch von einer „tiefsitzenden Kränkung im Team“, eine, „die sich dann auch gegen mich gewandt hat“. Finke (48), der Gerechte, der es in Nienburg einst zum Vertrauenslehrer gebracht hatte, erschien irgendwann manchem im Team als der Ungerechte. Dabei hatte er doch nur versucht, dem Laden mittelfristige Perspektiven mittels Etablierung eine professionelle Geschäftsgrundlage zu geben.

Freiburg, Stadt voller Sonne, großer Gedanken und Grünen-Wähler, stand zwar anderswo noch für den Gegenentwurf vom Erstliga-Profifußball, doch der Entwurf war längst vom Gegenständlichen abgehoben. Finke selbst wollte auch die Klischees vom Anderssein zurückdrängen, weil sie ihn nervten. Und weil er glaubte, das immer auch irrationale Moment trüge nicht mehr. Die Tabelle bewies das im letzten Winter. Der Trainer leitete die „Normalisierung“ ein. Tatsächlich hatte er eine Verpflichtung nicht nur dem Team gegenüber, sondern auch dem Teil der Anhängerschar, der schlicht für sein Geld wünscht, mit Erstligafußball unterhalten zu werden.

Es schien zu klappen, den für Millionen eingekauften „Personalkorrekturen“ (Finke) Harry Decheiver und Alain Sutter Sonderstatus einzuräumen, nicht zu vergessen: relative Spitzengehälter. Decheivers Tore erhielten die Liga.

Es gibt fachliche Gründe, warum der SC in dieser Saison keine Spiele gewinnt. Finke wollte das durch Todts Abgang und Kohls Verletzung entstandene läuferische Defizit über andere Qualitäten der neuen Spieler ausgleichen, die Unterschiede in der Behandlung der Angestellten „über die Birne hinkriegen“ – und merkte, es funktionierte nicht. Die branchenübliche „Geld- und Neiddiskussion“ war stärker. Was anderswo zum täglichen Leben gehört, hat Finke zu der „bitteren Erkenntnis“ gebracht: „Freiburg kann es sich nicht leisten, normal zu sein.“

Auch mochten die Alteingesessenen, geführt von Spielführer Andreas Zeyer und Stürmer Uwe Spies, nicht ganz loslassen. Spies, der keine Tore mehr schießt, nennen die unwillig aus ihren Träumen Gerissenen in Freiburg nur zärtlich den „Ex-Käpt'n“. In dem Wort drückt sich die ganze große Sehnsucht aus nach dem Verlorenen. Decheiver nennen sie „den Holländer“. Weniger zärtlich.

Es war so: Die einen gingen beim Pressing den zweiten, dritten, vierten Weg vergebens und sahen, wie ein anderer entweder „müde war oder im Kopf einen Aussetzer hatte“ (Finke). Harry Decheiver hatte zwei Möglichkeiten: a.) er verwertet seine Chancen, b.) er geht nach dem Vergeben der Chancen umgehend in die Abwehraktion. Er tat weder das eine noch das andere. Das, fand der Rest, war kein fairer Deal – und hörte auf, für den Holländer mitzurennen.

Allerdings ist das natürlich auch wieder zu schön, um wahr zu sein: Das Alte, Gute gegen das Neue, Böse? Die Hüter der Idylle gegen die in den tiefergelegten Autos? Die Badische Zeitung hat gestern auf ihrer „Seite 3“ die ganze Sache profaner erklärt: Jeder gegen jeden, unprofessioneller Kinderkram. Bis zum 0:4 gegen den HSV vor zwei Wochen sah Finke das auch so. Er ignorierte den Mißmut im Team – er wartete auf ein Tor von Decheiver. Inzwischen sagt er, es sei „scheißegal, wenn derjenige fehlt, der von vier Chancen zwei verwandelt“. Womit bewiesen ist: Finke hat den Kopf nach oben genommen. Finke will nicht primär den Abstieg verhindern, er will die Zukunft des SC Freiburg retten. Und er sieht nur eine Chance, wie es funktionieren kann: zurück.

Es gibt kein Zurück.

„Nicht zurück zu alten Idealen. Aber zurück zur alten Arbeitsweise.“ Theoretisch ist es so: Die alte Arbeitsweise respektiert den Spieler, der allein nicht gut genug für die Bundesliga sein mag – aber als Teil der Mannschaft reüssiert. Ob einer unter der Woche richtig Gas gibt?

Finke (gestern): Ach, das ist doch nicht so wichtig.

Finke (heute): Natürlich ist das wichtig.

Natürlich sind schon einige Ratten aus den Löchern gekrochen, so eine Phase, sagt Finke, sei „ja auch immer die Zeit alter Rechnungen“. Der „Chef“, der starke Mann, der alles kann und macht, erzeugt bei Beiseitegedrängten und Schwachen auch Wut und Angst. Es gibt aber keine schlagkräftige Opposition. Und es gilt immer noch: Finke kann besser reden – und schneller denken. In der donnerstäglichen Pressekonferenz war schon wieder devote Ruhe. Um Finke.

Eigentlich hat er nur vor zwei Wochen kurz geschwächelt. Nach dem 0:4 gegen Hamburg hat er mit dem Präsidenten Stocker beraten, ob man den Trainer feuern soll. Finke war aber der Meinung, daß „die Perspektive für den Verein ganz konkret mit der Arbeitsweise verbunden ist“, die Trainer und Cotrainer Achim Sarstedt eingebracht haben. Fußball-Junkie Stocker (62), seit 27 Jahren im Amt und nebenbei noch Oberfinanzdirektor, hat sich, wie bisher stets in sechs Jahren, Finkes Meinung angeschlossen – trotz gelegentlicher kleinerer und größerer Zweifel. Stockers Verein ist schuldenlos, das Geld für ein Jahr zweite Liga hat er schon bereit gelegt.

Mit der Rückbesinnung hat der starke Volker Finke allerdings, wenn man so will, der Gruppe seine Schuld eingestanden. Ob er daran glaubt oder nicht: Es bleibt ihm nichts anderes übrig. Vielleicht hören sie ja auf zu zanken. Denn siehe: Beim 0:1 in Köln stemmte sich die Mannschaft letzten Samstag erstmals in dieser Saison gegen eine Niederlage.

Heute wird sich einiges weisen. Borussia Dortmund kommt, der Meister. Die Ablehnung der Etablierten gegen Alain Sutter ist übrigens trotz Vorbehalten nicht eindeutig, so daß der Kreativspieler, gegen Köln verletzt, am Samstag wohl der Traditionsgruppe zugeführt wird, die außer Decheiver zudem ohne die Neuen Frey, Frontzeck, Marasek und Sternkopf spielt. Klappt es einigermaßen, hat Finke weiter Zeit und Handlungsspielraum gewonnen. Es geht für ihn nicht darum, auf keinen Fall zu verlieren. Es geht darum, wie man gegebenfalls verliert. „Ohne wenn und aber“, „mit aller Konsequenz“ – das kommt derzeit in jedem zweiten Finke-Satz vor. Die Mannschaft, sagt Finke, müsse zeigen, „daß wir mit der Rückbesinnung eine Chance haben, sofort wieder aufzusteigen, wenn es einen Betriebsunfall gibt“.

Wenn man drüber nachdenkt: Geht es auf, hat er womöglich auch dieses Mal wieder etwas ganz Erstaunliches geschafft.