Dorfdisco de Luxe

Der Fan hat Glück gehabt, der Rest der Menschheit gähnt: U2, die „drittfetteste Band der Welt“, hat ein neues Album herausgebracht. Am besten ist es da, wo es nicht nach U2 klingt  ■ Von Andreas Merkel

Liebe Kinder, laßt euch eine Geschichte erzählen.

Es gab auch schon früher Boygroups. Bloß daß das damals anders funktionierte, es ging nicht um Sexappeal, sondern um Gitarren und Moral. Man benannte sich nach einem amerikanischen Aufklärungsflugzeug, das über der Sowjetunion abgeschossen wurde. Gleichzeitig hieß das dann noch – so will es das Wortspiel – „AUCH DU“, und das hatte doch was Soziales und Konkretes.

Auch die einzelnen Gruppenmitglieder gaben sich selbst witzige Namen. Sie waren zu viert, und weil man aus Irland kam, war man nicht nur ziemlich religiös, sondern konnte auch noch gut Lieder über Gott, Liebe und Bürgerkriege machen. Damit wurde man reich und berühmt, und den vielen Fans kam es nicht immer so drauf an. Sie hatten von Gott keine Ahnung, von Liebe schon mal was gehört (in anderen Popsongs) und machten den Bürgerkrieg schnell Cola/Korn- kompatibel: Sobald in den Dorfdiscos dieser Welt „Sunday bloody sunday“ gespielt wurde, war die Fläche voll, Luftgitarre, eins, zwei, eins, zwei, Augen zu und mitgesungen. Aber die Jungs aus der Boygroup wurden älter und nachdenklicher, engagierten eigenwillige Produzenten, machte bessere Musik. Und sie fragten sich, wie sie nach oben gekommen waren, wenn die Welt wirklich so schlecht und sie wirklich so gut waren.

Es gab auch noch andere Musik, elektronische Musik, und Typen, die mehr Spaß hatten. Und auf einmal merkten sie, daß sie sich mit ihren Bibelstunden, ihrer ernsten und nachdenklichen Traurigkeit prostituiert hatten. Es war alles Show gewesen, und der Sänger mit dem witzigen Namen „Bono“ befand lachend, er sei auch nur „ein Arschloch im roten Mercedes“.

Da beschlossen sie, sich zu rächen. Die Welt und die Fans hatten sie verarscht, indem sie sie berühmt gemacht hatten, jetzt würden sie die Welt eben verarschen. Aber das ist nicht so einfach. Die Welt und die Fans lassen sich nicht verarschen, die finden das einfach alles gut. Zuletzt, das war vor vier Jahren, liebe Kinder, freundete sich die Band mit Bukowski an, sah mit ihm die Tage wie Pferde über die Hügel davonrennen, und Bono baggerte Winona Ryder mit Songwidmungen an. Und hier, liebe Kinder, ist das Märchen zu Ende. Gute Nacht, schlaft gut, und hört noch ein bißchen Backstreet Boys!

Und guten Morgen, U2! Denn die Band ist immer noch da. Das ist die eigentliche Kunst, die alle Beteiligten am meisten bewundern dürfen – eine einzige bunte Record-Release-Promotion-Party voller Klatsch und Tratsch, großer Ankündigungen, Vorabveröffentlichungen im Internet (angeblich illegal), in Funk und (M)TV und auf dem Singlemarkt. Und seit Montag kann man nun ihre neue Platte kaufen. Wie die ist? „Pop“? Natürlich Pop.

Hat denn wirklich jemand diesen ganzen Scheiß über Disco und Dance geglaubt?! Mit Techno, TripHop und Drum 'n' Bass wurden lediglich Songs getunt, die überwiegend an B-Seiten der 80er erinnern und selten das Niveau von Remixes übersteigen. Überall werden die eigenen Markenzeichen raufgeklebt – Bonos hohe Refrains und natürlich Edges Gitarre. Der Fan hat wieder mal Glück gehabt, der Rest der Menschheit gähnt: Man bekommt, was man gekauft hat, so wie man Simply Red und Phil Collins bekommt, wenn man Simply Red und Phil Collins kauft. Und Bono zwinkert wissend und unschuldig mit den Augen: „You know, you're chewing bubblegum, you know what that is, but you still want some.“

Vor etwa zehn Jahren probten U2 für ihr neues Album. The Edge spielte einen Gitarrenriff und meinte sofort, daß man das nicht nehmen könne. Wieso, soll Bono da gefragt haben. Weil es zu sehr nach U2 klingt, fand The Edge kritisch. Aber, verwunderte sich Bono, wir sind doch U2...

Auf „Pop“ spielen sich U2 sieben Songs lang warm, bis sie keinen Bock mehr haben. Mit dem achten Stück fahren sie müde in den Urlaub nach „Miami“ und wollen endlich, endlich von U2 nichts mehr wissen. Hier vergessen sie, wer sie sind und was sie sein müssen, und können endlich machen, was sie wirklich machen wollen. Und dann kommt nach der Enttäuschung doch noch die Überraschung – am Ende fünf schöne, unauffällig vertonte Gedichte: „Miami“ ist eine ebenso entspannte wie bedrohliche Urlaubsreminiszenz, die wie in einem Traum die Frage stellt, was bleibt. „If Coke is a mystery / and Michael Jackson ... history.“

Die Songs „The Playboy Mansion“ und „Please“ sind U2s Abrechnungen mit dieser Popkultur und also mit Typen wie ihnen selber. „If you wear that velvet dress“ rettet eine Intimität, die den Hörer persönlich kennenlernen will und ihn in dem Wissen allein läßt, daß er nicht allein ist. Bei aller musikalischen Indifferenz sind immerhin die Texte besser geworden: Allein schon mit einem Titel wie „Do you feel loved“ werden Tausende von das Radio verstopfenden Gehirnwäschesongs über LOVE erledigt! (Zu diesen literarischen Ambitionen paßt auch das Auftauchen des besten amerikanischen Gegenwartsautoren, Richard Ford, in den ausufernden „Thanks“-Credits.) Das ist nicht viel: Aber hier verspricht die „drittfetteste Band der Welt“ (deutscher Rolling Stone), abzunehmen.

U2: „Pop“ (Mercury)