Wie ein Engel

Der Schwebebahn, Wuppertals Beitrag zur Architektur der Moderne, droht die Dekonstruktion  ■ Von Esther Ruelfs

Die Schwebebahn ist ein unbestrittenes, weltweit bekanntes Denkmal mit gesicherter Zukunft“, hieß es noch 1985 in der Schriftenreihe Landeskonservator Rheinland. Von wegen: Rund zehn Jahre später soll das „eiserne Rückgrat“ Wuppertals abgerissen werden. Das etwa 20.000 Tonnen schwere und ein Jahrhundert alte Wahrzeichen aus Eisen soll durch ein neues ersetzt werden.

Die Stadt Wuppertal ließ verlauten, es handele sich um einen „Ausbau“ der Schwebebahn, ein „Umbau“ sei geplant. „Umbau“ meint hier: Jeder Träger, jede Stütze, alle Teile des Traggerüsts sowie die meisten der größtenteils original erhaltenen Haltestellen und die Wagenhalle der von 1898 bis 1903 erbauten, von Eugen Langen und Anton Riepel konstruierten Schwebebahn sollen ausgetauscht werden. Für eine halbe Milliarde Mark wollen die Stadtwerke Wuppertal die Schwebebahn durch eine moderne, leistungsstärkere Bahn ersetzen, die ein Jahrhundertwerk werden soll, das dem erwarteten Ansturm des kommenden Jahrtausends standhalten wird.

Auch Ende des letzten Jahrhunderts dachte man, mit der Schwebebahn ein Jahrhundertwerk geschaffen zu haben. In einer Zeit, in der Autos noch ein seltener Anblick waren, stimmten die Elberfelder, Barmener, Vohwinkler und Sonnborner dem Bau einer hängenden freischwebenden Bahn zu, die über der Wupper die vier Städte verbinden sollte. Ein wahrhaft futuristischer Entwurf, bedenkt man, daß einige Jahrzehnte zuvor das Eisenbahnfahren noch als „Fliegen“ beschrieben wurde. Nun erhob man sich tatsächlich in die Lüfte. Jean Cocteau rief angesichts der Schwebebahn: „Aber da ist ja ein Engel!“

Die Doppelstädte Barmen-Elberfeld zählten Ende des letzten Jahrhunderts zu den wichtigsten Industriestädten Europas. Durch rasche Urbanisierung wurde um die 80er Jahre ein neues Massenverkehrsmittel nötig, das den rasch anwachsenden Verkehr regulieren und die Pferdebahn ablösen konnte. Der Kölner Ingenieur und Industrielle Eugen Langen umschiffte mit seiner 1895 patentierten einschienigen Hängebahn alle üblichen Hindernisse einer Hoch- oder Tiefbahn, etwa die Probleme des steinigen Bodens, der dichten Bebauung und der Verschattung der Straße, und schlug den Konkurrenzentwurf einer Hochbahn – ganz im Gegensatz zu seinem jüngeren Neffen, dem Transrapid – auch noch mit seinen geringeren Kosten.

Noch heute transportiert das sicherste Verkehrsmittel der Welt etwa 70.000 Fahrgäste täglich. Der Bau der von dem Erfinder so getauften „Schwebebahn“ begann 1898 und verband nach fünf Jahren die vier Städte an der Wupper. Der Integrationsleistung dieses Verkehrsmittels verdankt die Stadt Wuppertal ihre Existenz. Schon 1900 weihten Kaiser Wilhelm II und seine Frau die Station Döppelsberg feierlich ein. Die Kaisergattin zeigte sich zunächst etwas ängstlich, war dann jedoch sehr angetan von der Fahrt. Wer schon einmal mit der Schwebebahn gefahren ist, weiß, daß man auch heute noch von einem mulmigen Gefühl befallen werden kann, wenn die Bahn aus der Station gleitet, zur Seite pendelt und sich nichts als Wasser unter einem befindet.

Die rein eiserne Konstruktion der Schwebebahn schlängelt sich in 13,3 Kilometer Länge über die Wupper, auf den letzten Kilometern greifen die Stützen über die Hauptverkehrsstraße nach Sonnborn. Die Bahn hängt an einem eisernen Tragwerk, das mit Hilfe von 464 Stützen über dem Lauf der Wupper gehalten wird. Die ebenfalls an dieser Konstruktion hängenden Stationen schweben scheinbar über dem Fluß, nur die Treppenabgänge der komplett aus unverkleidetem Eisen bestehenden Stationen stellen die Verbindung zur Straße her. In jeder Hinsicht ungewöhnlich ist diese Bahn, die als einziges Exemplar ihrer Spezies Wuppertal in der ganzen Welt berühmt machte. Sowohl das Gerüst in seiner rein funktionalen Form wie auch die Bahnhöfe aus Glas und Eisen – statt wie üblich aus Stein – machen die Wuppertaler Schwebebahn zu einem einzigartigen Beispiel der Eisenarchitektur, das in seiner Bedeutung allenfalls mit dem Eiffelturm verglichen werden kann. In ihrer Verschmelzung von Ornament und funktionaler Ingenieurskonstruktion ist sie paradigmatisch für den Historismus der Jahrhundertwende. Daher müßten neben dem Tragwerk nicht nur der Jugendstilbahnhof Werther Brücke oder die Wagenhalle in Oberbarmen erhalten werden, sondern das ganze Ensemble aus Bahnhöfen und Brücken, die mit ihrer nackten Tragekonstruktion die ungewohnt rationale Seite des Historismus betonen.

Entlang der Strecke befinden sich heute noch 19 Stationen, wobei 16 Stationen in originaler Bausubstanz erhalten sind. Die vom Kaiser eingeweihte Station Döppelsberg mußte schon 1924 einem massiven Steinbau weichen, zwei weitere Stationen wurden in den 60er und 80er Jahren ersetzt. Gerade diese Bauten sollen die Radikalrenovierung überleben. Die Erneuerung des Eisentraggerüsts, das nach 90 Jahren Gebrauch durch Korrosion und Materialermüdung geschwächt ist, hat zur Folge, daß sämtliche Bahnhöfe von der Konstruktion abgehängt werden müssen. Ein Wiederaufbau der alten Bahnhöfe scheint den Wuppertaler Stadtwerken nicht sinnvoll, da die Stationen ohnehin zu klein, zu dunkel, frauenfeindlich und nicht behindertengerecht seien.

Erstaunlich ist die Tatsache, daß die Schwebebahn 1976 bereits in den Denkmallisten stand, nach Verabschiedung des neuen Denkmalschutzgesetzes in NRW von 1980 wurde der Eintrag jedoch nicht erneuert. Schon seit 1989 liegt ein Gutachten des Rheinischen Amts für Denkmalpflege vor, welches sich um Unterschutzstellung der Schwebebahn als Gesamtanlage bemüht. „Es wird vorgeschlagen, die Streckenanlage mit allen Haltestellen und dem ,Kaiserwagen‘, dem einzigen noch erhaltenen Waggon aus der Erbauungszeit (...), als ein Denkmal unter Schutz zu stellen.“

Bis heute, sieben Jahre später, ist jedoch nichts passiert. Verschleppung statt Entscheidung. Für den stellvertretenden Leiter des Rheinischen Denkmalamtes, Prof. Jörg Schule, ergibt sich ein Gesetzesverstoß, da die Stadt in ihrer Eigenschaft als Untere Denkmalbehörde verpflichtet sei, die Denkmäler einzutragen – und nicht nur dann, wenn dies „nichts kostet“. Das Denkmalamt wartet nun auf einen ministeriellen Entscheid für den Erhalt der Schwebebahn als Ensemble.

Inzwischen handeln die Stadtwerke. Die erste der insgesamt 25 im Gutachten erwähnten Wupperbrücken ist bereits abgerissen worden. Die Stimmen, die sich gegen den Ausbau wenden, werden derweil lauter. So versucht eine Bürgerinitiative „Rettet die Schwebebahn“ mit einem Bürgerbegehren den „Umbau“, dem Anfang Februar CDU, SPD und Grüne im Stadtrat zugestimmt haben, zu verhindern. Die Stadt will von der Architektur der Jahrhundertwende lediglich die beiden Prachtstücke „in ihrer äußeren Form“ erhalten: die Wagenhalle in Oberbarmen und die Station Werther Brücke. Die Wuppertaler Stadtwerke informieren: „Beim erforderlichen Neubau der Wagenhalle Oberbarmen werden die Wuppertaler das gewohnte Aussehen nicht missen.“ Der Wuppertaler Bürger müsse um das „äußere Erscheinungsbild“ nicht bangen, denn die verschiedenen Stationen sollen „ähnlich“ wiederaufgebaut werden, nur ein wenig länger, ein wenig breiter. Die um 30 Meter längere Wagenhalle soll im gewohnten Gewand erscheinen.

Was den Wuppertaler Dekonstruktivisten vorschwebt, ist eine Scheinarchitektur, die mit der Schwebebahn der Jahrhundertwende nichts gemein hat. Man stelle sich vor, man würde den Eiffelturm abreißen und aus Edelstahl „so ähnlich“ wieder aufbauen, nur etwas höher und mit modernen Aufzügen. Was die Wuppertaler Stadtwerke der Öffentlichkeit verkaufen wollen, ist eine Renovierung, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als Abriß und Verschrottung eines Denkmals der Ingenieurbaukunst. Ihres Zeugniswerts beraubt, droht der Schwebebahn nun eine Zukunft als Disney-Bahn.