■ Politikerinnen haben ein Recht auf Geschmacklosigkeit
: Hochsteckfrisuren und weiße Blusen

Claudia Nolte und Sahra Wagenknecht haben zweierlei gemeinsam: Erstens tragen sie alberne weiße Blusen, und zweitens reden alle von ihren albernen weißen Blusen. Tatsächlich bieten die feinsinnig geschwungenen Augenbrauen und die liebreizenden Hochsteckfrisuren der Wagenknecht einerseits, die pausbäckig-biedermeierliche Banalität der Nolteschen Gesichtszüge andererseits insofern Stoff zur Berichterstattung, als daß junge Frauen, ob schön, ob häßlich, immer ein Hingucker sind. Das soll hier als Naturkonstante des Patriarchats einmal so stehenbleiben dürfen. Und wo präsentiert sich das Weiblich- Differente augen(ge)fälliger als in der Mode? Eben.

Die Journaille hat für derlei Gesetze, wenn schon kein Verständnis, so doch ein Gespür. Auf diese Weise ist ausreichend oft zu erfahren, wie eine Monika Griefahn oder eine Jutta Ditfurth sich durch ihre dunkle Lockenmähne fuhrwerkt, welche SPD-Politikerin mit Doppelnamen oder ohne gerade wieder ihren Pony hat abschneiden oder sich zur Unzeit eine Dauerwelle hat legen lassen.

Das ist durchaus hochinteressant, gerade für Frauen. Denn wie viele von ihnen verwehren sich aus dem einzigen Grund eine politische Karriere, weil sie nicht wissen, was sie denn anziehen sollten, droben, an der Spitze, auf den Partei- und Bundestagen? Vielleicht müssen Frauen aussehen wie gekränkte Dackelmischlinge, um Bundes-Atomministerinnen zu werden (Angela Merkel). Vielleicht würde nie ein meistgelesenes Wochenmagazin ein Portrait über eine ehemalige Greenpeaclerin, kurz darauf Ministerin in Gerhard Schröders Kabinett, schreiben, wenn sie nicht so hübsch ihre Haare schütteln könnte (Monika Griefahn). Vielleicht würde eine kleine, alternative Tageszeitung überhaupt nicht erst auf ein linkskonservatives Parteitags-Starlet aufmerksam, wenn es nicht alberne Blusen trüge (Sahra Wagenknecht).

Warum aber sollen Wagenknechts runzlige Thesen im Gegensatz zu ihrem Pfirsichteint stehen? Und warum muß Noltes teigige Blässe immer auch für ihre politische Unscheinbarkeit herhalten? Wo bleibt das Recht auf Geschmacklosigkeit, Prätentiosität und Unoriginalität im politischen Stil, ungeschmälert von Einwürfen über Geschmacklosigkeit, Prätentiosität und Unoriginalität in der modischen Praxis? Der Kampf geht weiter: für das Recht blöder Frauen, sich blöd anzuziehen. Wie sagte doch eine französische Philosophin? „Ich teile Ihren Geschmack nicht, aber ich würde mein Leben dafür geben, daß Sie dieses Kleid anziehen dürfen.“ Ulrike Winkelmann