Abgestanden in Ruinen

■ Dimiter Gotscheffs klebt „Germania 3“zum wackeren Budenzauber im Malersaal

Aus dem KZ befreit, in die Hölle entlassen. Der Auschwitz-Überlebende erschlägt den Rotarmisten, der gerade seine Frau vergewaltigt. „Ihr habt uns befreit, aber meine Frau ist meine Frau“, und ab ins russische Straflager Workuta. Genosse Stalin, hier ein Zyniker im Nachthemdchen, das vor den „Asiaten“zittert. Hitler, ein gelähmter Dr. Seltsam, dem die Steifheit auf die Sprache schlägt. Und im Schlußchor mit dem Serienmörder „Rosa Riese“schickt Honecker einen letzten irren Gruß aus Weltraum und Theaterhimmel. Historischer Materialismus verkommt zu Cameoauftrit-ten geschichtlicher Prominenz.

Der Sozialismus, bei Müller totgeborene Utopie, abgestanden in Ruinen, dazu verdammt, an ummauerter Enge, Bürokratie und hohler Revolutionsrhetorik zu ersticken. Der Stoff, aus dem und auch sein letztes Mysterienspiel Germania 3 gemacht ist.

Dimiter Gotscheff fügt die Szenencollage zu einer effektsicher kalkulierten Mischung aus operettenhafter Deutschlandrevue und Zimmerschlacht mit Blut- und Eisentexten. Insiderdönnekes, das Hexenkränzchen der Brechtwitwen und andere DDR-Persönlichkeiten, die Müller das Leben schwer machten , wurden gestrichen. Statt dessen wird sein alter „Ajax“zum angestrengten Epiphanien-Rap herbeizitiert, und der „glücklose Engel“kittet mit historischer Nekrophilie wirkungsvoll die Zwischenräume zwischen Germania 3-Einzelteilen.

Gotscheffs Inszenierung ist einfallsreich und eindringlich. Der Jahrmarktbudenzauber kriegschreiender Heinzelmännchen oder russenängstlicher Kriegerwitwen, mit dem er die Topographie einer kranken nationalen Seele auf die Kasperlebühne stemmt, kann sich sehen lassen. Nur manchmal schlittert der Populismus ungebremst ins allzu Zotige. Wenn das bierselige Ereifern vorm Fußballspiel im Fernseher den Stalingrader Kessel vorstellt, tauscht der bulgarische Regisseur leicht erstandene Pointen gegen schnelles Lachen im alles versöhnenden Publikumskonsens über den häßlichen Deutschen. Doch so billig ist Müllers wüste Revision auf sein unseliges Deutschland, das seine Selbstzerstückelungstendenz als germanisches Erbe stets mit sich trägt, nicht zu haben. Und so wird Gotscheff am Ende immer bedachter. Die tödlich deutsche Mischung aus Kleinmut und Größenwahn, exerziert er als amüsantes, hin und wieder eher deppisches Volksgut zwischen Nibelungen- und Jägerlied von Massenmörder und Übermenschen. Birgit Glombitza