Ecstasy – Glück mit Nebenwirkungen

20.000 Jugendliche in Hamburg haben Ecstasy mal ausprobiert, über 1500 nehmen es regelmäßig. Kaum körperliche Abhängigkeit, aber dauerhafte Schädigung droht  ■ Von Mechthild Klein

Der Aufstieg von Ecstasy und Amphetaminen ist nicht zu bremsen. Schätzungsweise 100.000 bis 500.000 Jugendliche konsumieren in Deutschland die kleinen Glücks-Pillen (Kurzform: E oder XTC). Hamburgs Drogenbeauftragter Horst Bossong schätzt, daß rund 1000 bis 1500 Jugendliche in der Hansestadt mindestens einmal die Woche Ecstasy nehmen. Die Panikmache mancher Drogenexperten könne er dennoch „nicht nachvollziehen“. E gehöre zu den „weichen Drogen“und erzeuge „keine körperliche Abhängigkeit“. Wie stark eine psychische Abhängigkeit wirke, sei hingegen noch offen, so Bossong. Gerd Rakete, Geschäftsführer der Hamburgischen Leitstelle für Suchtgefahren, glaubt, daß bis zu 20.000 Jugendliche in Hamburg schon mal Kontakt mit E hatten. Wie viele es regelmäßig schlucken, könne er nicht schätzen. Sicher liege die Zahl „erheblich über 1500“, meint Rakete. Seine Behörde unterhält eine Hotline für E-User, die laut Rakete in drei Monaten mehr als 1000 Ratsuchende angerufen haben.

Die meisten User kombinieren E mit Cannabis, Pilzen oder Amphetaminen, manchmal mit Kokain; so gut wie nie mit Alkohol. Immerhin wird XTC nachgesagt, nahezu jede Depression in ein Hochgefühl verwandeln zu können, zwischenmenschlichen Austausch zu fördern und die Wahrnehmung zu verfeinern. Die Wirkung ähnelt der von Amphetaminen und Halluzinogenen gleichermaßen. Die Gefahr eines Horrortrips ist gleich Null. Eltern trauen sich kaum noch über Stimmungshochs ihrer Youngsters zu frohlocken, könnte doch dahinter eine Handvoll E-Tabletten stecken. Untersuchungen zeigen, daß sogar Grundschüler oft mehr über Ecstasy wissen als ihre Erzieher. 20 junge Menschen sollen laut Drogenbericht der Bundesregierung 1996 nach E-Konsum gestorben sein.

Der Hamburger Mediziner Rainer Thomasius, Leiter der Forschungsgruppe Designerdrogen an der Psychiatrischen Klinik der Universität Hamburg, sieht als eine Hauptgefahr im Mißbrauch von E die „potentiellen psychiatrischen Komplikationen und Folgewirkungen“. Gegenüber der taz erklärte der Mediziner, daß MDMA (Ecstasy) auf Dauer irreparable Schäden im Gehirn hervorruft, weil es direkt in den Neurotransmitter-Stoffwechsel eingreift. „Cannabis und LSD verursachen nicht solche Schädigungen“, ergänzt Thomasius. Nervenzellen in bestimmten Gehirnregionen können zerstört werden. Das habe psychische und körperliche Folgen und beeinträchtige vor allem die Merkfähigkeit.

Oberarzt Oliver Bilke von der Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Lübeck behandelt E-Konsumenten in der Drogenberatung und steht angesichts des Ecsta- sy-Konsums „in jeder Hinsicht vor einem Phänomen“. Jugendliche E-User gehen heute völlig anders mit ihrer Droge um als jede andere Gruppe von Rauschgiftnutzern vor ihnen. „Wenn denen die Nebenwirkungen zu viel werden, dann hören die nach einem dreiviertel Jahr einfach auf“, berichtet Bilke. Bei einem 40jährigen Alkoholabhängigen wäre das undenkbar. Der Psychiater wird in der Beratungsstelle in erster Linie mit Problemfällen konfrontiert, die er im Notfall auch mal ohne Krankenschein behandelt. „Ein Soziologe würde sicher Besseres über Ecstasy zu berichten haben“, meint der 31jährige Mediziner. Allerdings habe ein Soziologe vermutlich noch nie um drei Uhr nachts um das Leben eines E-Users gerungen, der mit Atemstillstand in die Notaufnahme eingeliefert wurde.

Bilke will E-Konsum nicht verteufeln. Eher selten, so zeigen seine Erfahrungen, stürzten Jugendliche nach extensivem E-Gebrauch so ab, daß sie aus der Depression nicht mehr herausfinden oder auffällig werden. Dennoch liegt ihm Verharmlosung fern. Vieles bleibt offen: „Wie sich Dauerkonsum auf den jugendlichen Körper und seinen Stoffwechsel auf lange Sicht auswirkt, wissen wir überhaupt noch nicht.“

Wer schon nicht auf E verzichten will, dem rät der Psychiater wenigstens vier bis sechswöchige, besser noch halbjährige Pausen zwischen den Trips einzulegen. Aus Bilkes Erfahrung in der Drogenberatung gibt es für den jugendlichen User „eigentlich keine Abbruchkriterien, außer wenn seine eigene psychische oder physische Grenze erreicht ist“oder „wenn er von außen gezwungen wird“.

Meist wissen die Kids um einige Nebenwirkungen und kalkulieren sie sogar mit ein, sagt der Oberarzt. Wen mögliche Depris und Muskelzuckungen am Anfang nicht abschrecken, der sagt: „Gut, dann bin ich danach eben ein paar Stunden schlecht drauf.“15 Mark für ein bis zwei Stunden Glücksgefühl sind offenbar ein gutes Geschäft.

Ecstasy ist so beliebt, „weil es billig ist, wach macht und motorisch anregt“, glaubt Bilke. Besonders die Leistungs- und Antriebssteigerung und die erhöhte Schnelligkeit schätzten die E-User. Auch der Rededrang, der kein Palaver sondern mitunter „sehr ernste und tiefgründige Gespräche beschert“, findet bei Jugendlichen großen Widerhall. Während nach ein paar Trips kaum mit einer größeren Schädigung des Nervensystems zu rechnen ist, sieht das bei Dauer-Usern jedoch anders aus, warnt Bilke: Konzentrations- und Gedächtnisstörungen bis hin zur Amnäsie seien am häufigsten zu beobachten. So hatte ein 26jähriger Programmierer einen bestimmten Teil einer Computersprache einfach vergessen und mußte ihn wieder neu lernen.

Probleme der Daueruser hat Bilke in ärztlicher Behandlung: ungelöste Psychosen, Depressionen und Angststörungen oder auch anhaltende Halluzinationen. Nicht besonders rosig sieht es auch im Bereich der chronischen somatischen Wirkungen aus, die sich nach einem Jahr intensiven Gebrauchs einstellen können: Hepatitis, Auflösung der quergestreiften Muskulatur, eine Störung des Gerinnungssystems und die Auflösung kleinster Gefäße in der Leber und bestimmten Regionen des Gehirns.

Ecstasy-Hotline der Landesstelle gegen Suchtgefahren 248000, wochentags 16 bis 21 Uhr