Wer Gen-Gemüse sät, wird Frankenstein ernten Von Mathias Bröckers

„Life is a Xerox – you are only a copy“: Seit mit dem Schaf Dolly das erste geklonte Wirbeltier produziert wurde, hat der alte Spontispruch ganz neue Aktualität. Daß die erfolgreiche Kopie eines Schafs aber wirklich einen der größten wissenschaftlichen Fortschritte des Jahrhunderts darstellt, ist zu bezweifeln. Denn dann müßte ja auch die Kopie eines Goethe-Gedichts als großer Fortschritt in der Literatur gelten, und der Druckmaschinen-Erfinder Gutenberg wäre das Genie des Jahrtausends. Der war aber nur ein Techniker, dessen Erfindung gleichwohl, und deshalb sprechen wir heute von Gutenberg-Revolution, ganz entscheidend für den Fortschritt in der Literatur war.

Erst durch das Verbreiten von Kopien wurde das kreative Potential der Bevölkerung in die Lage versetzt, sich zu entfalten. Mit dem genetischen Kopieren verhält es sich genau umgekehrt: Sie entfaltet nicht das kreative Potential der biologischen Welt, sondern schränkt es ein. In der Natur ist Kloning ein uralter Hut aus der Mottenkiste der Evolution, niedere Lebewesen beherrschen diese Technik seit mindestens zwei Milliarden Jahren. Wäre das genetische Kopieren tatsächlich ein Fortschritt, hätten sich komplizierte zweigeschlechtliche Fortpflanzungsverfahren erst gar nicht entwickelt, und die Erde wäre heute ein Planet der Amöben und Würmer. Erst die Überwindung des dumpfen Kopierens schuf die Biosphäre, wie wir sie kennen, erst sie brachte den Faktor ins Spiel, der Weiterentwicklung möglich machte: Differenz – statt der immer gleichen Wiederholung des einen die Vielfalt des Ähnlichen mit abertausend Mutationen. Hätte Gutenberg statt des Druckens das Klonen erfunden, hätten Frau Goethe, Beethoven oder Einstein nie ihren genialen Nachwuchs in die Welt gesetzt.

Wenn ein gottfernes Blatt wie der Spiegel die Ankunft des ersten geklonten Schafs mit dem Bibelwort vom „Sündenfall“ betitelt, muß eine außergewöhnliche Katastrophe im Busch sein. Daß selbst Berufszyniker einen Moment erschrecken und alle politischen Lager bis hin zum Vatikan einig sind, kommt selten genug vor – derlei Tierexperimente nicht auf Menschen zu übertragen und es gesetzlich zu verbieten, darüber herrscht Einigkeit. Doch jetzt eine Grenze zu ziehen wird nicht gelingen, denn der geklonte Mensch ist nichts anderes als die Konsequenz dessen, was mit gentechnisch manipulierten Pflanzen und Tieren längst zum Big Business geworden ist. Selbst wenn ein gesetzliches Kopierverbot für Menschen durchsetzbar wäre, würde das nur dazu führen, daß man als menschliches Ersatzteillager zurechtgeklonte Affen oder sonstige medizintechnische Monstren züchtet. Das Huhn mit Wachtelkopf, das in der Vorwoche präsentiert wurde, gibt einen Vorgeschmack auf die Mutantenschau der Zukunft – und auf die gegenwärtige Heuchelei. Denn diejenigen, die jetzt am lautesten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, werden morgen wieder den Wirtschaftsstandort beschreien, der ohne Gentechnik zum Abstieg verurteilt sei.

Wer aber Gen-Gemüse sät, wird Patentmäuse und die Menschwerdung Frankensteins ernten – für die Biosphäre, den Standort Erde, ist das eine so fatal wie das andere.