Press-Schlag
: Last der Favoriten

■ Die Chicago Bulls – und Alba Berlin vor dem Europaligaspiel in Barcelona

Auch die Chicago Bulls verlieren. Am Sonntag zum Beispiel mit 93:97 bei den New York Knicks, die achte Schlappe der Saison. Ungeachtet der unterschiedlichen Rahmenbedingungen durchaus vergleichbar mit der 68:70-Niederlage des Spitzenreiters der Basketball-Bundesliga Alba Berlin am Samstag gegen Bonn. Auf der einen Seite das beherrschende Team der Liga, haushoher Favorit auf die Meisterschaft, das einen miserablen Tag erwischt und einfach den Korb nicht trifft. Auf der anderen Seite ein hochmotivierter Gegner, dem es um Prestigegewinn (New York) geht oder um die letzte Chance, einen Play-off- Platz zu ergattern (Bonn). Am Ende eine rasante Aufholjagd des Favoriten, die in letzter Sekunde doch noch scheitert.

Hier allerdings hören die Parallelen auf. Die Chicago Bulls haken die Sache mit einem Achselzucken ab. Nix getroffen? Okay, nächstes Spiel. „Auch wir müssen unsere Brocken schlucken“, sagt Michael Jordan lapidar, „das war einer.“ Die Berliner dagegen sind zutiefst verunsichert, was natürlich auch daran liegt, daß sie im Gegensatz zu den Bulls, deren letzte Niederlage geraume Zeit zurückliegt, das dritte Match binnen einer Woche verloren haben. Nicht die besten Voraussetzungen für das bislang wichtigste Spiel der Saison, welches heute abend (20.30, DSF) stattfindet: das Rückspiel im Europaliga-Achtelfinale beim FC Barcelona, das nach der Heimniederlage am letzten Donnerstag unbedingt gewonnen werden muß, um eine dritte Partie in Berlin zu erzwingen.

Alba-Coach Svetislav Pesic war schon seit längerem mulmig angesichts der Rekordserie von Bundesligasiegen. Er hat, etwa mit dem deutschen Nationalteam bei der EM 1993 und den Berlinern im Korac-Cup vor zwei Jahren, genügend krasse Außenseiter betreut, um zu wissen, wie schnell ein Favorit stürzen kann. „Wir sind seit Juli Deutscher Meister“, beklagt er die Vorschußlorbeeren, „es ist sehr schwer, dies auch einzulösen.“ Tatsächlich warf die erste Saisonniederlage gegen Leverkusen nach 24 Siegen seine Mannschaft heftig aus der Bahn.

Anstatt nach den gloriosen Siegen gegen Moskau und Mailand vor Selbstvertrauen zu strotzen, zeigte sich nach dem knappen 69:72 in Leverkusen schon beim Spiel gegen Barcelona, was gegen Bonn, wahrhaftig kein Superteam, offen zutage trat und von Pesic mit dem schlichten Wort „Panik“ beschrieben wurde. „Wir haben kein einziges Mal unsere Offense gespielt“, konstatierte der Trainer Hilflosigkeit gegen die aggressive Verteidigung der Gäste, und saßen gegen Barcelona wenigstens noch viele Distanzwürfe, versagte gegen Bonn auch jenes Mittel. Während Leute wie Jordan oder Pippen, auch wenn sie nicht treffen, ihr Spiel keinen Deut ändern, sondern stoisch dasselbe probieren, bis es wieder funktioniert – oder auch nicht –, tendiert Alba in solchen Situationen derzeit zur Risikominimierung. Genau der falsche Weg, rügt Pesic, denn: „Mut und Risiko sind unsere Stärken.“

Erstaunlicherweise sind es gerade die erfahreneren Leute, die Probleme bekommen haben. Sasa Obradovic, jugoslawischer Nationalspieler, neigt zu Kopf-durch-die-Wand-Aktionen, übersieht dabei Mitspieler und kassiert Offensivfouls; der lange verletzungsgeplagte Henrik Rödl, der mit seiner Dynamik und Durchsetzungsfähigkeit ein wesentlicher Pfeiler des Alba-Spiels ist, agiert zauderlich, und National-Center Hupmann ist entweder zu zaghaft und wird geblockt oder zu ungestüm und begeht Fouls und Schrittfehler. Einzig Harnisch und Alexis können ihr Spiel halbwegs bewahren.

„Wir haben Probleme in allen Bereichen“, mußte Pesic nach dem Spiel gegen die Bonner zugeben, von denen man seiner Meinung nach in Hinblick auf Barcelona eine Menge lernen konnte. Nämlich: „Wie man fighten und etwas riskieren muß, um seine letzte Chance zu nutzen.“ Heute abend wird sich zeigen, ob die Lektion gefruchtet hat. Hilfreich könnte sein, daß auch der FC Barcelona nicht vollkommen auf der Höhe ist. Am Sonntag unterlag das Team bei Estudiantes Madrid mit 73:80. Matti Lieske