Daums Flächenbrand

Ihre 2:5-Niederlage gegen Bayer Leverkusen läßt die Münchner Bayern sehr ungnädig werden  ■ Von Philipp Selldorf

Leverkusen (taz) – Nur wenigen Besuchern war das Vergnügen vergönnt, Zeuge der Münchner Wut-, Ohnmachts- und Betroffenheitsbekundungen zu werden. Ein Ortserfahrener, der in der Halbzeit sein Ohr an die Tür zum Kabinengang gepreßt hatte, konnte immerhin berichten, daß Jürgen Klinsmann fluchend die Mitspieler angefahren und Trainer Giovanni Trapattoni wütend Kommandos erteilt hatte.

Weitere Impressionen aus dem Lager der Geschlagenen sind freilich nicht überliefert. Als die Partei im Ulrich-Haberland-Stadion beendet war und Bayer Leverkusen den FC Bayern mit 5:2 besiegt hatte, stürmten die Stars aus München mit Hochgeschwindigkeit ihren Kabinen entgegen – flehende Reporter („...nur zwei Sätze“) ignorierend, in den Lauf gehaltene Mikrophone recht rüde beiseite schiebend. Jeder hatte sein grimmigstes Komm-mir-auf-keinen- Fall-näher-Gesicht aufgesetzt, so daß sich Klinsmann oder Helmer oder Basler zum Verwechseln ähnlich sahen. Auf diese Weise gaben die Bayern zum ersten Mal an diesem Abend ein mannschaftlich geschlossenes Bild ab.

Den Vorwurf, „Scheißverlierer“ zu sein, hatten die Leverkusener Anhänger im festlich hergerichteten Stadion den Gästen schon vorher gemacht. In wenigstens drei Fällen (Basler, Klinsmann, Scholl) hätte der Schiedsrichter Gelegenheit gehabt, Münchner Spieler wegen grob unfairer Aktionen vom Platz zu stellen. Nicht, daß sich die Profis des Rekordmeisters besonders hart eingesetzt hätten – in den fraglichen Szenen standen ausschließlich unbeherrschte Übergriffe zur Debatte, die Herr Steinborn jedoch strafmildernd als Affekthandlungen qualifizierte. Offenbar hatte er bedacht, daß die Münchner ein Pausenrückstand von 0:3 emotional überfordern mußte.

Vergleichbar verhielt es sich auf der Tribüne, auf der sich Franz Beckenbauer zu „Ratlosigkeit“ bekannte. „Für so etwas brauch' ich nicht nach Leverkusen zu fahren“, distanzierte sich der Bayern-Präsident von seinem Team und rätselte sarkastisch über den Sinn der Münchner Darbietung: „Ich weiß nicht, wie dieses Spiel heißt – jedenfalls nicht Fußball.“ Damit hatte der Präsident klargestellt, daß Münchner Indisponiertheit die entscheidenden Zeichen des Abends gesetzt habe. Den Sieger, der sich des Danks der gesamten Bundesliga, sogar des ganzen Landes sicher wähnte (ein seltenes Gefühl für den Verein, der nach wie vor gegen den schmählichen Titel „Werksklub“ kämpft), mußten solche Analysen ärgern. Steckt nicht Geringschätzung für die Leistung des Widersachers in der Münchner Selbstzerfleischung?

„Wann immer die Bayern verlieren“, sagte der Sportbeauftragte des Bayer-Vorstandes, Jürgen von Einem, „führen sie das auf die Tatsache zurück, daß sie außer Form waren. Wenn man 13mal Meister geworden ist, bestimmt man eben selbst die Grenzen im Positiven und Negativen. Dann kommt man nicht auf die Idee, daß der Gegner einmal stärker war.“ Die durchaus diskutable Bemerkung des Mannes, der bei Bayer das letzte Wort hat (und damit über Manager Reiner Calmund steht), fand leider kein Echo.

Auch der Leverkusener Trainer Christoph Daum gab sich nach dem Triumph mäßig temperiert; ähnlich wie vor der Partie, als er lediglich einen „Flächenbrand“ auf dem Spielfeld angekündigt hatte. Für den Coach, der mit seiner zuweilen abstrusen Rhetorik die Öffentlichkeitsarbeit bei Bayer nahezu allein bestreitet, ist das eine völlig alltägliche Äußerung. Jetzt wies er Ansprüche auf die Teilnahme am Titelrennen entschieden zurück und stellte betont sachlich fest: „Wir haben gezeigt, daß man Erfahrung mit Begeisterung und Leidenschaft ausgleichen kann. Die Spieler haben losgelegt, als wäre es ein Endspiel. Was sollten die Bayern da machen?“

„Weltklasse“ fand gar Verteidiger Christian Wörns, der mit Markus Happe den Bayern-Sturm Klinsmann/Zickler vollständig neutralisierte, die Leistung seines Teams – „Das war das beste Spiel, seit ich hier bin – und das sind immerhin sechs Jahre.“ Das galt erst recht für den dreifachen Torschützen Markus Feldhoff, der sein Glück kaum fassen konnte und von seinem „schönsten Tag als Fußballer“ sprach. Seit dem 12. Oktober hatte er kein Spiel mehr von Anfang an bestritten, diesmal bescherten ihm bloß die Verletzungen der Stamm-Stürmer Kirsten und Meijer einen Platz in der Anfangsformation.

Bayern schickte acht Nationalspieler auf das Feld; Bayer brachte acht Spieler, die nicht älter als 25 Jahre sind. „Diese Mannschaft hat Zukunft“, meinte Trainer Daum. Die Münchner, vielleicht ein Trost, haben immerhin Vergangenheit.