Lokale Gewohnheitsrechte und männliche Wehrhaftigkeit

■ In Südalbanien charakterisieren vornationale Kategorien wie Treue und Verrat das politische Klima

Im Süden Albaniens ist die Lust an der Waffe ungebrochen. In Cowboymanier schert man sich kaum um die politischen Entscheidungen im fernen Tirana. Das Gewaltmonopol des Staates ist aufgehoben, Selbstregulierung und Eigenverantwortung fordern „männliche Werte“ – wie in den nordalbanischen Bergen, wo die Blutrache nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes wieder auflebte, und wie in Südalbanien zu osmanischer Zeit.

Damals garantierte auch dort nicht der Staat die Rechtssicherheit. Lokale Gewohnheitsrechte regelten das dörfliche Zusammenleben bis weit in dieses Jahrhundert. Männliche Wehrhaftigkeit und verwandtschaftliche Solidarität sicherten das Überleben neben dem Ehrbegriff, der die Loyalität persönlicher Beziehungen außerhalb der Familie gewährleistete. Der Staat forderte nur Steuern und Soldaten – Herzblut ohne Gegenleistung für diejenigen, die keine Beziehungen zu Funktionären der staatlichen Verwaltung besaßen. Auch im Kommunismus und unter Berisha galt die richtige Parteienloyalität als Arbeitsplatzgarantie.

Klientelismus und Regionalismus erklären die mangelnde staatliche Integration, die vornationalen Kategorien von Treue und Verrat den politischen Umgang bis heute. Die inneren Divergenzen zwischen Nord und Süd und innerhalb konkurrierender Clans sollen laut dem Historiker Klaus Lange schon die Isolation des kommunistischen Albanien nach außen begründet haben. Oppositionelle hielt man unter Kontrolle, indem Nordalbaner in den Süden, Südalbaner in den Norden verbannt wurden, die dort nie in konspirativen Kontakt mit Einheimischen kommen konnten.

Staatspräsident Berisha führte eine stammespolitische Schlammschlacht, als er OSZE-Wahlbeobachter als Verräter und sozialistische Agenten abstempelte. Ganz zu schweigen von den brutalen Übergriffen auf kritische Journalisten und Oppositionelle im eigenen Land, die auf das Konto der bewaffneten Zivilisten aus Berishas muslimischer Heimatregion in Nordalbanien gehen. Patron Berisha zahlte gut, und diese Fürsorge wurde ihm mit absoluter Loyalität vergolten. Nicht umsonst fürchten die Aufständischen die Racheakte von dieser Seite, sollten sie die Waffen vorzeitig abgeben.

Die größten Clans des modernen Albanien tragen in Berishas Rhetorik die Etiketten „Demokraten“ und „Sozialisten“. Die Aufständischen im Süden tituliert Berisha als kommunistische Staatsfeinde, die Nordalbaner werden zu wahren Demokraten stilisiert. Doch im Norden haben auch die Monarchisten und reaktionären Parteien ihren Rückhalt, hier paktierte man im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen. Im Süden dagegen entstanden tatsächlich die ersten kommunistischen Kader und wurde der Partisanenkrieg geführt. Die Aufständischen in der gegenwärtigen Krise, deren Wut sich anfangs allein an den verlorenen Ersparnissen entzündete, entwickelten erst im Zuge der Ereignisse politische Forderungen. Sie organisierten sich langsam. Alte sozialistische Militärs, die ihren Job unter Berisha verloren, setzten sich an ihre Spitze und sind als aktive Interessengruppe nicht zu unterschätzen. Politische Vertreter aus dem Süden distanzieren sich bereits innerparteilich von Berisha, um ihre Legitimation oder einfach ihr Leben im Heimatbezirk zu retten. Auch das Militär lief über, die regionale Loyalität dominierte über die politische.

Die Sympathisanten der Aufständischen hoffen, aus der derzeitigen Anarchie möge ein neues, besseres, demokratisches Albanien entstehen. Doch nach der stammespolitischen Tradition Nordalbaniens verlieren die politischen Repräsentanten einer Region ihre Legitimation mit der Entfernung vom Heimatort. Es bleibt abzuwarten, ob die Oppositionsvertreter in der Hauptstadt einen Zugang zu den Führern der Aufständischen finden. Stephanie Schwandner-Sievers

Die Autorin ist Ethnologin und arbeitet

am Berliner Osteuropa-Institut