Protest der Bauarbeiter wird griffiger

■ Wieder gingen Tausende Bauarbeiter gegen die wachsende Arbeitslosigkeit auf die Straße. IG Bau kündigt „härtere Gangart“ an. Die Tarifverhandlungen für ostdeutsches Baugewerbe sind festgefahren

Straßenblockaden, Pfeifkonzerte, Rangeleien mit der Polizei und eine symbolische Baustellenbesetzung – auch am zweiten Tag der Aktionswoche hielt der Unmut der Bauarbeiter an. Bei einer „Besetzung“ der Reichstagsbaustelle protestierten gestern mehrere tausend Bauarbeiter gegen die hohe Arbeitslosigkeit. Beim Umbau des Reichstags sollen nach Angaben der Protestierenden fast ausschließlich ausländische Arbeitnehmer beschäftigt sein. Dort wie auch vor dem Neuköllner Hotel „Estrel“, wo die Tarifrunde für die ostdeutsche Baubranche fortgesetzt wurde, kam es zu Rangeleien mit der Polizei. Aus der Menge vor dem Hotel wurden Teller geworfen. Drei Bauarbeiter wurden kurzzeitig festgenommen.

„Die Zeiten der Proteste auf der grünen Wiese sind vorbei“, betonte der Vorsitzende der IG Bau, Klaus Wiesehügel. Jetzt würden Städte blockiert. Auch Pressesprecher Werner Köhler warnt: „Die Stimmung ist sehr aufgeheizt. Die Leute sind zum Teil seit Monaten arbeitslos. Sie sind sehr schnell bereit, aggressiv zu werden.“ Bis zum Freitag wollen sich die Arbeiter jeden Morgen am Brandenburger Tor treffen.

Heute soll die Baustelle des Bundespräsidialamtes am Schloß Bellevue symbolisch besetzt werden. Für Donnerstag sind eine Kundgebung und „Überraschungen“ am Potsdamer Platz angekündigt. Am Freitag soll der Protest mit einer Großkundgebung am Gendarmenmarkt enden.

Anlaß der seit Montag andauernden Proteste sind die Tarifverhandlungen für die rund 150.000 Beschäftigten im ostdeutschen Baugewerbe. Während die Gewerkschaft zur Verschiebung der für diesen Oktober vereinbarten vollen Lohnangleichung bereit ist, hatte der Zentralverband des deutschen Baugewerbes die Stufentarifverträge zur Lohnangleichung nicht gekündigt und sich für neue Verhandlungen ausgesprochen. Die IG Bau besteht jedoch darauf, daß die Tarifanhebungen vom Herbst vergangenen Jahres auf 95 Prozent Westniveau in Kraft bleiben.

Während es bei den gestrigen Verhandlungen keine Fortschritte gab, nahmen nach Angaben der IG Bau etwa 7.000 Arbeiter aus mehreren Bundesländern an der Mahnwache am Potsdamer Platz teil. „Wir sind in friedlicher Absicht gekommen, die Stimmung ist aber einwandfrei aufgeladen“, sagte ein Lackierer aus Osnabrück, der mit etwa 180 anderen Bauarbeitern aus Niedersachsen angereist ist.

„Es kann nicht sein“, schimpft ein 59jähriger, „daß wir zu Saisonarbeitern verkommen.“ Seit 45 Jahren sei er auf dem Bau. „Nach dem Krieg ist es kontinuierlich bergauf gegangen“, sagt er, „jetzt geht es nur noch rapide bergab.“ Etwa 2.000 Mark habe er im vergangenen Jahr weniger verdient. Deshalb müsse die Öffentlichkeit „wachgerüttelt“ werden, wie es der Geschäftsführer der IG Bau Osnabrück, Peter Ebbrecht, sagt. Notfalls müsse „eine härtere Gangart“ eingelegt werden.

„Natürlich sind viele Leute aufgebracht“, sagt ein Ordner, der am frühen Nachmittag die Blockade der Leipziger Straße an der Infobox organisiert. „Viele sehen nicht ein, daß ausländische Kollegen ausgebeutet und Deutsche auf der Straße stehen“, faßt er zusammen, was viele denken. „Wir haben nichts gegen ausländische Arbeiter“, betont er. Es könne aber nicht sein, daß ausländische Arbeitnehmer für weniger Geld arbeiten. Am Montag wurde am Potsdamer Platz ein ausländischer Bauarbeiter in seinem Bauwagen belästigt und beschimpft.

Während Michael Jackson per Lautsprecher „A better place for you and for me“ sang, blockierten etwa dreihundert Bauarbeiter für eine Viertelstunde die Straße. Einige Autofahrer legten schon nach wenigen Minuten genervt den Rückwärtsgang ein. Den Beifall der Demontranten errang dagegen ein junger BMW-Fahrer: Er holte seinen Campingstuhl heraus und setzte sich auf die Straße. Barbara Bollwahn