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Marburger Spezialität

In Marburg hat die PDS die traditionell starke DKP beerbt und sitzt erstmals im Parlament einer westdeutschen Stadt. Die Gewählten suchen noch nach ihrem Platz zwischen ihrer DKP-Vergangenheit und ihrer Zukunft auf dem Ticket der Ost-Partei  ■ Von Heide Platen

Die Adresse lautet – ausgerechnet – Roter Graben. Ein Fotograf hat rote Nelken für das Gruppenfoto mitgebracht. In der geräumigen Altbauwohnung von Henning Köster streicht er nun auf der Suche nach dem richtigen Blickwinkel um den Tisch. Auf dem Sofa sitzt ein Kamerateam des Fernsehens und wartet auf seinen Einsatz. Die vier frischgewählten KandidatInnen der Marburger PDS gewöhnen sich gerade erst an ihren neuen Ruhm.

Sie sind die ersten ihrer Partei, die als richtige Fraktion aus dem Stand mit satten 6,2 Prozent in ein westdeutsches Rathaus einziehen. Daß die PDS im Westen etwas ganz anderes sei als die im Osten, betont Spitzenkandidatin Eva Gottschaldt gleich am Anfang und schüttelt den Kopf, daß die silbernen Ohrringe klingeln: „Wir sind nicht die PDS!“ Sondern? „Die PDS/Marburger Linke. Ich bin zum Beispiel parteilos.“

Das war die 43jährige Historikerin und Politogin nicht immer. Bis 1991 war sie DKP-Mitglied und ist bewußt ausgetreten. Gottschaldt definiert sich als „Christin und Marxistin“. Gearbeitet hat sie lange für das Archiv der Verfolgten des Nazi-Regimes in Frankfurt: „Meine Lehrer waren die alten Antifaschisten. Aus der Schule komme ich und in der bleibe ich auch!“ Vorerst möchte sie nun in keiner Partei mehr sein: „Ich war eine Gerechtigkeitsfanatikerin und habe meine religiösen Bezüge auf die Partei übertragen.“ Das hat nie ganz funktioniert, und so erlebte Gottschaldt den Mauerfall 1989 als „richtig befreiend.“

Die neuen PDSler sind enttäuschte DKPler

Bei Henning Köster steht noch der Nippes verblichener sozialistischer Bruderländer auf den Regalen. Auch er war in der DKP und tut sich immer noch schwer mit der eigenen Vergangenheit. Der 47jährige Gymnasiallehrer und Sozialpädagoge, der heute Jugendliche in „sozialen Brennpunkten“ betreut, kam aus katholischem Elterhaus über Junge Union und SPD zur DKP. Seit 1994 ist er in der PDS. Den hierarchischen Strukturen der Kommunisten trauert auch er nicht nach: „Der demokratische Aspekt hat gefehlt.“ Allerdings sei die DKP-Mitgliedschaft für ihn auch noch im Sommer 1989 „eine Glaubensfrage“ gewesen. Und doch habe er geweint, war begeistert und gerührt, als die Grenzen geöffnet wurden und sich die Menschen in den Armen lagen: „Das waren echte Gefühle.“

Solche Probleme hat Pia Maier nicht. Nein, die „Gnade der späten Geburt“ will die 25jährige nicht für sich in Anspruch nehmen, aber um in einer „SED-Nachfolge-Partei“ zu sein, ist sie entschieden zu jung: „Ich will weg von dem Ost-Touch. Die PDS muß sich für den Westen öffnen und nicht immer nur diesen Ostblick haben.“ Maier studiert Kunstgeschichte und Politik. Sie ist gerade mitten im Examen und seit drei Jahren im Vorstand des AStA. Und außerdem im Bundesvorstand der PDS in Berlin.

Da war sie am Montag nach der Wahl: „Irgendwie haben sie sich auch gefreut, aber das war sehr zwiespältig, eher eine verhaltene Freude.“ Henning Köster hat auch beim „Zentralorgan Neues Deutschland“ nur eine „sehr dezente Freude“ ausmachen können: „Sieben Sätze in zwei Tagen.“

Schuld daran ist der vierte Listenkandidat, der arbeitslose Sozialarbeiter Heiner Walter. Er ist DKP-Mitglied, 1990 aus-, dann aber wieder eingetreten. Und er will drin bleiben: „Wir müssen die Diskussion zu Ende führen und die Vergangenheit aufarbeiten. Weglaufen ist keine Aufarbeitung.“ Der Schweriner Beschluß der Bundes-PDS gegen eine Kandidatur von Mitgliedern anderer Parteien auf der PDS-Liste halten hier viele für einen „Gummiparagraphen“. Der Marburger PDS-Sprecher Nico Biver: „Da steht was von demokratischen Personen“, so eine sei Heiner Walter eben. Und überhaupt, sagt der West-PDSler: „Beschlüsse, die idiotisch sind, muß man nicht befolgen.“

Eine Stellungsnahme von Lothar Bisky am Tag nach der Wahl klang nicht gerade nach Jubel und großzügiger Unterstützung, er mahnte vielmehr, daß das Marburger Ergebnis nicht überbewertet werden dürfe. Pressesprecher Erwin Müller erinnert daran, daß der DKPler Walter schon vor den Schweriner Beschlüssen auf der Liste an der Lahn gestanden habe: „Aber künftig gelten die. Wenn da PDS draufsteht, dann muß da auch PDS drin sein.“

Zur gemeinsamen Kandidatur haben die Marburger zusammengefunden, weil sie ihnen die Marburger Stadtpolitik „gestunken“ hat: „Da mußte wieder was links von den Grünen her.“ Die hätten im Allparteienparlament weder gegen den Bau einer Kunsthalle noch gegen das Multiplexkino, nicht gegen das teure Hotel noch gegen das „Riesenparkhaus mit Kaufhaus dran“ oder gegen den Abriß des Schwimmbads protestiert, sondern „nur genickt oder höchstens Mal gehüstelt“. Gottschaldt: „Hier werden die Entscheidungen vom Parlament auf die Investoren verlagert. Darunter leidet die Demokratie.“

Der Wahlkampf sei „entspannt“ verlaufen, und nun, so Walter, zeigten sich ihre GegnerInnen doch überrascht: „Auch meine Freunde bei den Grünen haben nicht geglaubt, daß es links von ihnen noch etwas gibt.“ Mit den Analysen, wer denn nun warum die PDS gewählt hat, tun sich die Gegner allerdings schwer. Ulrike Kober, Spitzenkandidatin der Grünen, sucht die Schuld auch in ihrer eigenen Partei. Die hatte sich im Kommunalwahlkampf 1993 über den Neubau eines Hotels am Biegeneck derart zerstritten, daß sie mit zwei Listen antrat. Die abgespaltene Grün-Alternative Liste brachte es damals auf 4,8, der damals parallel angetretene Listenpartner der PDS, die Marburger Linke, auf 3,5 Prozent. Daher kommen, vermutet Kober, nun die PDS-Stimmen.

Seltsam sei nur, daß gerade in den Stadtteilen, in denen die Grünen viele Stimmen bekamen, auch die PDS besonders gut abgeschnitten habe. Die starke Stellung der DKP bis 1993, an die die PDS anknüpfe, das sei eine „Marburger Spezialität“, zu erklären vor allem aus dem universitären Bereich. „Da gibt es auch noch ein paar 68er Professoren, die sind ein bißchen in der Geschichte hängengeblieben. Das ist Tradition hier.“ Ihr Kollege von der SPD, der Marburger Parteivorsitzende und Staatssekretär Norbert Schüren, gibt ihr nur teilweise recht. In den studentischen Innenstadtbereichen, stellt er fast neidlos fest, haben Grüne und PDS „im Uni-Milieu gemeinsam sogar die absolute Mehrheit“.

Nun müßten die Grünen, die „inzwischen auch den Massengeschmack bedienen“, eben dort um ihre Wähler kämpfen: „Da wohnt kein einziger Arbeiter.“ Dafür habe die SPD sich in den Randbezirken ihre alte Klientel zurückerobert. Die Tradition, die der DKP seinerzeit einen Stimmenanteil bis zu 10 Prozent bescherte, erklärt er schlicht. Der frühere Oberbürgermeister habe zugunsten der Stadtkasse immer darauf gedrängt, daß sich die StudentInnen mit Erstwohnsitz in der Stadt anmelden. Die dürfen nun in Marburg wählen. Schüren: „Alles rächt sich an anderer Stelle.“

Und manche PDS-Wähler sind enttäuschte Grüne

Viele sind, wie er selbst, nach der Universität „in der Stadt hängengeblieben“. Nur mit der Tradition der DKP, sagen die vier von der PDS, sei ihr Erfolg jedoch nicht zu erklären. Sondern auch damit, daß die Marburger Innenstadt eben ein sehr überschaubares Terrain sei: „Jeder kennt hier jeden.“ Viele Menschen aus ihrem Stadtteil hätten sie einfach gewählt, weil sie bekannt sei, meint Eva Gottschaldt, die sich in vielen Gremien engagiert. Und ihr anschließend gratuliert „wie zur Hochzeit“.

Eine PDS-eigene Analyse sieht das Potential im Westen außerdem auch bei den Jungwählern, die entweder von den Grünen frustriert seien oder ihren Unmut „gegenüber denen in Bonn“ ausdrücken wollten. Henning Köster meint, daß das auch für Marburg gelte: „Wir haben auch diffuse Proteststimmen von Entwurzelten bekommen.“ Die „Traditionswähler der DKP“ seien auch in Marburg in den letzten Jahren „sehr viel weniger geworden“.

Das Parteiprogramm der PDS Marburg liest sich, als sei es von den Grünen geschrieben. Bezahlbares Wohnen, mehr Lehrstellen, keine städtebaulichen Großprojekte, ausgebauter Personennahverkehr, keine Diskriminierung von Frauen und Minderheiten, Antifaschismus und globales Denken.

So steht es auch wörtlich nachgedruckt im nagelneuen Verfassungsschutzbericht über „Agitation und Ergebnisse“ der Kommunalwahlen 1997. Da lassen sich auch die genau 21.699 Menschen zusammenzählen, die der Partei Anfang März in den hessischen Kreisen und Gemeinden ihre Stimme gegeben haben. Insgesamt, so die stillen Beobachter, habe sie das Marburger Ergebnis „nicht überrascht“.

Auch Kandidaturen von DKPlern auf PDS-Listen sind den Verfassungsschützern nicht entgangen – bis auf eine, ausgerechnet die von Heiner Walter in Marburg.

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