■ Gesundheitsreform: Die Kranken müssen zahlen
: Den letzten beißen die Hunde

Es ist noch nicht lange her, da schien in der CSU die Revolution gegen den einstigen Hoffnungsträger, Minister Seehofer, ausgebrochen zu sein. Wollte dieser doch Schluß machen mit dem paritätischen Sozialstaatsprinzip, das die Lasten auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilt, und bestimmte Leistungen der Krankenkassen nur noch von den Beitragszahlern finanzieren lassen. Mit uns nicht, tönte die bayerische Sozialministerin Barbara Stamm: Diesen Angriff auf die Solidargemeinschaft tragen wir nicht mit.

Was gestern anstatt des ursprünglichen Seehofer- Modells beschlossen wurde, ist noch viel schlimmer. Nun werden die Lasten nicht einmal mehr zwischen Kranken und Gesunden, also zwischen allen Beitragszahlern gemittelt. Die Kranken selbst werden zur Kasse gebeten, und zwar nicht zu knapp – mehr als zwei Prozent seines Einkommens soll keiner für diese neue Form der Vorsorge aufwenden müssen, tönt Seehofer beruhigend, bei chronisch Kranken liege der Deckel gar bei einem Prozent. Was beschwichtigen soll, vertuscht in Wahrheit einen Skandal – denn bei einem Familienvater mit Durchschnittsverdienst, der das Glück hat, nicht chronisch krank zu sein, könnte so schnell mal ein Tausender pro Jahr zusammenkommen an neuen Versorgekosten, wenn die Kinder öfter mal Schnupfen haben und so weiter. Wohlgemerkt: Zusätzlich zu den bereits gezahlten Krankenkassenbeiträgen, versteht sich.

Es sind nicht mehr allein die Arbeitnehmer – das war das ursprüngliche Modell –, es sind schlicht und ergreifend die Kranken selbst, die jetzt finanziell dafür bluten müssen, daß alle bisherigen Maßnahmen zur „Kostendämpfung“ völlig unzureichend gewesen sind. Nicht dort, wo Kosten entstehen, wird eingegriffen (etwa beim vollen Mehrwertsteuersatz, den der Staat für jedes Arzneimittel kassiert). Die „christliche“ Maxime heißt jetzt ganz offen und ungeschminkt: Den letzten beißen die Hunde. Das ist freilich keineswegs neu in diesem Land. Aber so ungeniert wie jetzt bei der neuen Seehoferschen Zuzahlungsregelung ist der Angriff auf die Kranken bisher noch nicht praktiziert worden.

Und wir lassen es uns gefallen. Wir merken ja nicht mal mehr, wie man uns ausnimmt. Wir sind schon froh, wenn wir einer Attacke ausgewichen sind, und übersehen, daß die nächste noch viel dreister ist. Till Bastian

Der Autor ist Arzt und Publizist