Kohl gießt Öl ins Kohlefeuer

■ Bundeskanzler verweigert Kohlegespräche, solange die Bergleute Bonn belagern. Kumpel durchbrechen die Bannmeile. Regierung spricht von Erpressung. Gewerkschaftschef ruft zu Unterbrechung der Proteste in Bonn auf

Bonn (taz) – Das real existierende Leben hat gestern im Bonner Regierungsviertel Einzug gehalten. Tausende von Bergleuten nahmen gestern nachmittag vor der FDP-Parteizentrale, mitten auf einer der größten Kreuzungen der Stadt, an einer Kundgebung teil.

Eigentlich hätte genau zu diesem Zeitpunkt das Ergebnis des Kohlegesprächs zwischen Helmut Kohl und dem Chef der IG Bergbau, Hans Berger, verkündet werden sollen. Aber der Kanzler hatte das Treffen kurzerhand abgesagt. Seine Begründung: Er lasse sich „nicht unter Druck setzen“. Kohl erklärte, er wolle nicht unter dem Eindruck von Demonstrationen verhandeln. Nach dem Willen der Bundesregierung soll das Kohlegespräch jetzt am Donnerstag stattfinden – aber nur, wenn die Proteste bis dahin abflauen.

Vor diesem Hintergrund hatte Gewerkschaftschef Berger gestern auf der Kundgebung einen schweren Stand. Nach entschlossenem Einstieg – „Wir werden weiterkämpfen!“ – appellierte er an die rund 15.000 Bergarbeiter, ihre Demonstrationen in Bonn vorübergehend abzubrechen. „Die Bundesregierung wird nicht weiterverhandeln, wenn wir hierbleiben. Wenn es am Donnerstag nicht funktioniert, kommen wir alle geschlossen am Donnerstag mittag wieder.“ Der Applaus war dünn, weithin hörbar Pfiffe und Buhrufe. Dennoch verließ der Großteil danach in Bussen die Stadt. Für den späten Abend wurden allerdings einige tausend Bergarbeiter aus dem Saarland in Bonn erwartet.

Die Verschiebung des Treffens gestern vormittag hatte die bis dahin friedliche Stimmung kurzzeitig aufgeheizt: Ein paar hundert Kumpel durchbrachen die Absperrung und drangen in die Bannmeile des Regierungsviertels vor. Dort trafen sie auf Oppositionspolitiker, die sie zum Verlassen der Bannmeile bewegten. Regierungspolitiker kritisierten die Polizei, sie sei nicht energisch genug gegen die Bergmänner vorgegangen.

Die SPD versuchte gestern, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Fraktionschef Rudolf Scharping versicherte den Teilnehmern der Kundgebung: „Die gesamte SPD-Bundestagsfraktion ist unter euch.“ Eine Rede hielt auch Parteichef Oskar Lafontaine. Er rief unter donnerndem Beifall: „Scharfmacher sind diejenigen, die die Grundfesten des Sozialstaats in Frage stellen.“ Die SPD-Fraktion hat die turnusmäßige Wahl ihres Vorstands verschoben, um an der Kundgebung teilnehmen zu können. Auch die bündnisgrüne Fraktion mischte sich unter die Demonstranten. Die CDU hatte sich – so IG- Bergbau-Chef Berger – „geweigert“, einen Redner zu entsenden.

Die Bergleute sehen für sich keine Zukunftsperspektive mehr, wenn die Koalition an ihrem Plan festhält, die Subventionen für die Steinkohle bis zum Jahr 2005 von 9 auf 3,8 Milliarden Mark zu verringern. „Wo sollen wir denn noch arbeiten, wenn alles geschlossen wird?“ fragt der Steiger Peter Kloß. Sein Kollege Joachim Tewes meint: „In der Zeitung stehen ja sehr wenig Stellenanzeigen drin. Da kommen dann zwischen drei-und fünfhundert Bewerbungen auf eine Stelle.“

Die Protestaktionen der Bergleute gingen gestern auch in den Kohlerevieren an Ruhr und Saar weiter. Etwa tausend Kumpel besetzten den Hauptbahnhof Hamm. Überall in den Regionen wurden Straßen und Autobahnen blockiert. Bettina Gaus

Tagesthema Seite 3, Portrait Seite 11