Leben im wohltemperierten Chaos

■ Die Lemonheads und U Am I bedienen die Zitatkiste mit Präzision

„For 40 seconds the day, I was sure that we were feeling the same way“, haucht Tim Rogers von U Am I ziemlich zerknittert im Song „Heavy Comfort“. Du bist ich, aber irgendwie auch nicht. Der große junge Traum von der Vereinigung ist geplatzt, der Popsong am Leben. Auch wenn er manchmal sehr alt klingt. Rogers baut leichthändig um die traurigen Zeilen ein melodiöses Gerüst, das mit kammermusikalischer Raffinesse an die längst vergangenen Tage der Präzisionspopper Zombies erinnert.

Überhaupt, bei U Am I erinnern alle Songs an Meister aus dem Museum. Big Star, Byrds, Who – auf Hourly, Daily, dem dritten Album des australischen Trios, wimmelt es von Referenzen. Die werden nicht beschämt ausgerollt, sondern mit einer zur Schau gestellten Bewunderung. Klauen ist für U Am I in Ordnung, solange die heiße Ware für gute Zwecke benutzt wird. Räuberehre, sozusagen. Und hier brauchen eben ein paar junge Männer die, sagen wir mal, Riffs der Replacements und Harmonien der Beatles, um sich aus der gröbsten Verzweiflung herauszuspielen. Hübsch anzuhören ist der Perfektionismus, mit dem U Am I ihre Popsongs aus der Zitatkiste zusammenschrauben, ohne dabei in technokratische Erstarrung zu fallen.

Die ist auch Evan Dando von den Lemonheads fremd. Wie sollte Langeweile auch bei jemandem aufkommen, der sein Leben in einem wohltemperierten Chaos hält. Bei seiner Band herrscht ein Kommen und Gehen, die Geschichten von den regelmäßigen Ausfällen des Chefs werden immer wieder gerne weitergereicht. Neulich konnte Dando nicht mehr und wurde ins Sanatorium eingeliefert, auch das ist bekannt.

Car, Button, Cloth, das nach der Entlassung aktuelle Album der Lemonheads, ist kein Meisterwerk, verfügt aber über einige wunderbare Momente. Im CD-Booklet hat Dando ein paar kindliche Zeichnungen gekritzelt – das gewöhnen sich ja viele Leute an, die einmal in der Therapie waren. Und so sind denn auch die Songs: krakelig, komisch und zuweilen von zufälligem Tiefsinn. Im Gegensatz zu seinen Freunden von U Am I verfügt der Ami über keinen expliziten Bauplan für einen Popsong, und deshalb mischen sich bei ihm manchmal in strahlende Melodien düstere Erkenntnisse.

Viele Menschen glauben, Evan Dando sei eine dumme Nuß, weil der schöne Mann sich mit verzweifelter Niedlichkeit durch die Welt strahlt. Doch in Wirklichkeit ist er ein Mystiker. Wer das Gegenteil behauptet, muß zur Strafe folgende Textzeile aus „If I Could Talk I'd Tell You“analysieren: „Khmer Rouge genocide qua your place or mein Kampf, now I'm giving the dog a bone.“

Christian Buß So, 16. März, 21 Uhr, Markthalle