Die Suche nach Grauen

■ Falk Richter inszeniert Harold Pinters Asche zu Asche auf Kampnagel, ein Stück über die Faszination von Gewalt in Vergangenheit und Gegenwart

Der Mangel an schlechten Erfahrungen kann übel sein. „Mir ist nie etwas passiert“, sinniert Rebecca. „Keinem meiner Freunde ist je etwas passiert. Ich habe nie gelitten.“Sie ist fasziniert von der Grausamkeit, die sie täglich um sich sieht – und sie leidet an dem Unvermögen, den Schrecken jemals nachvollziehen zu können. Denn Rebecca ist jung, und Erfahrungen aus zweiter Hand zählen nicht.

Devlin bohrt sich trotzdem in ihre Vergangenheit hinein. Ein Mann spukt durch Rebeccas Gedächtnis. Ein Ex-Liebhaber, ein Sadist, dessen Beschreibung an einen KZ-Aufseher erinnert. Jemand, der am Bahnsteig einer Mutter das Baby aus dem Arm gerissen hat. In einer Großstadt irgendwo im immer noch saturierten Teil des Westens verwickelt Devlin Rebecca in ein Verhör über ihre frühere Beziehung, das bald außer Kontrolle gerät...

Eigentlich enthält Harold Pinters Stück Asche zu Asche keine Regieanweisungen, nur die Angabe, daß die beiden Personen etwa Mitte Vierzig sein sollen. Regisseur Falk Richter, der das umstrittene Werk in deutscher Erstaufführung auf die Kampnagel-Bühne bringt, setzt sich darüber hinweg und die Altersgrenze mit der 32jährigen Sylvana Krappatsch und dem 24jährigen Oliver Kraushaar radikal herab. Es ginge um die Generation, die mit faktischer Grausamkeit überfüttert sei, sagt Richter. Um Leute auf einer extremen Suche nach Bildern, nach einem emotionalen Verständnis von Greueltaten jenseits von leerem Betroffenheitsfrust. Diese müssen sich auf ihrer Suche nach dem Unbekannten mit hohlem Generation-X-Geschwafel herumprügeln: „Du hast das doch gar nicht miterlebt. Wie willst du da mitreden?“

Pinters Bogen zwischen privater und politischer, struktureller Gewalt ist nicht explizit auf den Nationalsozialismus bezogen, sondern auf die Funktionsweise totalitärer Staaten allgemein. Von der britischen Kritik wurde deshalb die Frage, ob sich der Dramatiker hier im Tenor vergriffen und unzulässige Parallelen zwischen Hitler-Deutschland und dem heutigen Großbritannien gezogen habe, durchaus kontrovers beurteilt.

Die deutsche Fassung müsse natürlich auf die Nazi-Zeit ausgerichtet sein, sagt Richter. Es sei aber kein Lehrstück für den Geschichtsunterricht, denn für Menschen unter 45 könne die Auseinandersetzung mit der Faszination, die beim Evozieren von brutalen Bildern entstehe, zu einem tieferen Geschichtsverständnis führen als das Lesen von Lehrbüchern.

Barbora Paluskova

Premiere: So, 16. März, 20.30 Uhr, Kampnagel, k4