Experimente mit der Nähe

■ Ballett-Tage Oldenburg brüskieren mit Avantgardistischem

Die dritten „Oldenburger Ballettage“wärmten ihr Publikum ganz langsam an. Der von der Festivalorganisatorin und Ballettdirektorin am Oldenburger Staatstheater, Ingrid Collet, angekündigte Streifzug durch die Strömungen zwischen klassischem Ballett und tänzerischer Avantgarde schien in der ersten Hälfte des noch bis Sonntag dauernden Festivals chronologisch zu verlaufen. Und nicht alle ZuschauerInnen mochten diesen Weg mitgehen.

Der klassischen Form verpflichtet blieb neben der Wiederaufnahme von Collets „Tanzjahre“auch Mats Eks für das Culberg Ballett einstudierte Choreographie „Giselle“. Ek versucht in der modernen Adaption des schweren, mythischen Stoffes eher das Psychische herauszuarbeiten. Giselle gerät ihm als empfindsamer Sonderling zwischen die gesellschaftlichen Grenzen. Doch gerade der erste Akt, in dem sich mit Schlapphüten und Mistforken versehene Bauern tummeln und die Welt des Adels in ihren kostbaren Roben ihre Rituale abzieht, läßt die intendierte Tiefe nirgendwo erspüren. Die selbstverständliche Perfektion des Tanzes schließt die Körper nicht auf. Schade um die stets aus jeder Faser agierende Gunilla Hammer als Giselle.

Ganz unprätentiös dagegen präsentierte sich am Sonntag abend das „Nederland Dans Theater 2“mit fünf zum Teil älteren Choreographien. Hier werden die Körper Geschichte und Musik. Die jungen TänzerInnen im Alter von 17 bis 21 Jahren brauchen kein Pathos, um Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“in ihrer romantischen Wehmut zu verkörpern. Jeder Ton wird Geste. Überraschende Frische, Ironie und Witz kennzeichnen auch die übrigen Choreographien. Aufbruch, überschäumende Neugier und Schüchternheit stürzen die Körper in immer neue Konstellationen, in einen schwere- und lautlosen Tanz, der Lust weckt: Lebenslust.

Die Suche danach bleibt mit „Two“von Edouard Lock weitgehend unbeantwortet. Denn wieder mal schürft die Truppe „LA LA LA Human Steps“in den Tiefen des Geschlechterkampfes. Allerdings mit anderen Mitteln als in den Achtzigern, als ihre Körper durch die Luft flogen und jenseits der Schmerzgrenzen aufeinanderprallten. Die KanadierInnen loten dieses Mal kleinräumig komponierend den Abstand zwischen Mann und Frau aus. Und zwar mit derartiger Eindringlichkeit, daß diejenigen, die unter dem Titel „Ballettage“die schöne Pirouette erwarteten, am Dienstag abend türenknallend den stuckverzierten Saal des Staatstheaters verließen.

Abschied von überkommenen Formen ist dann auch eines der Themen. Zu Cembaloklängen von d'Anglebert, Forqueray und Rameau entspinnt sich ein subtiles Ringen: Zeitweise zwei Männer zugleich falten und entfalten Frauenarme und Beine zu dem Versuch einer Arabesque, der Andeutung einer Pirouette. Doch in merkwürdig steifem Widerstreben, mit vielen irrwitzigen Ausfluchten, die die Männer zu atemnehmend schneller Reaktion auffordern, suchen diese schönen Arme und Beine der zärtlichen Zurichtung zu entfliehen. Zu den barocken Klängen entsteht eine Persiflage auf das klassische Korsett und wird jäh durchbrochen von elektronischen Störgeräuschen und wummernden Bässen. Immer wieder: Erschöpfung in diesem Ringen um Zärtlichkeit. Doch man schleppt sich zu einem neuen Versuch. Mehr in der Luft als irgendwo verhaftet, springt die Tänzerin Louise Lecavalier schließlich in ein gleißendes Nichts. Experiment Nähe gescheitert. mig

Die Ballettage Oldenburg laufen noch bis zum 16. März