Die große Schweinchen-Lüge Von Karl Wegmann

Willy guckt gleich wieder giftig. Dabei hab' ich ihm nur erzählt, daß sie gerade dabei sind, einen zweiten Teil von „Ein Schweinchen namens Babe“ zu drehen. „Komm schon“, versuche ich ihn aufzumuntern, „der Film war doch toll, hatte sogar einen gewissen pädagogischen Nährwert: Halte dich nicht an Konventionen, mach das, wozu du Lust hast, oder so ähnlich.“

„Kompletter Blödsinn“, ist Willys lapidare Antwort. „Du bist doch nur sauer, weil die Katze in der Geschichte so schlecht abgeschnitten hat“, reize ich ihn, Willy ist nämlich großer Katzenfan. „Das auch, und Hühner wurden ebenfalls ganz mies behandelt“, blafft er zurück. Ich hatte vergessen, daß Willy schon seit einem Jahr an einem absolut artgerechten Hühnergehege bastelt. „Nun hör schon auf, das Ganze war doch nur ein nettes, lustiges Märchen...“, „Nett?“ unterbricht er mich, „lustig? Was zum Teufel ist für ein Schwein erstrebenswert daran, ein Hirtenhund zu werden?“ „Hirtenschwein“, werfe ich ein, „oder noch besser: Hüteschwein!“ „Schnurzpiepegal“, sagt er, „auf jeden Fall ist ,Hirtenhund‘ der beschissenste Job im ganzen versklavten Tierreich.“ „Ach was“, entfährt es mir, „und ich dachte immer, daß gerade dabei eine außergewöhnliche, fast telepathische Beziehung zwischen Mensch und Tier...“ – „Hör lieber auf zu denken und lies mal Desmond Morris“, meint Willy und läßt wieder den Oberlehrer raushängen. „Der Hund, der die Herde zu bewachen hat, gehorcht lediglich den von seinen Wolfsvorfahren ererbten Instinkten und Verhaltensmustern“, doziert er. Dann holt er Papier und einen Filzschreiber und erklärt mir das Jagdverhalten, „die seit Urzeiten nach einem bestimmten Muster ablaufende Umzingelungstaktik“ der Wölfe. Aha, denke ich, Willy hat den Film nicht verstanden. Der aber macht unbeirrt weiter: „Die Jagdstrategie der Wölfe enthält vier angeborene und daher absolut zwingende Verhaltenselemente. Das erste schreibt vor: Wenn du ein Tier von der Herde getrennt hast, näherst du dich ihm im gleichen Tempo wie die übrigen Rudelmitglieder. Die zweite Regel: Du hälst möglichst den gleichen Abstand zum Wolf rechts bzw. links von dir. Die dritte ist die Strategie des Hinterhalts. Ein Wolf trennt sich vom Rudel, legt sich flach auf den Boden und wartet völlig regungslos darauf, daß ihm die Beute zugetrieben wird. Der letzte und wichtigste Aspekt ist die Aufgabe des Leittiers. Der Alpha-Wolf gibt das Signal für die einzelnen Phasen der Jagd. Das Rudel beobachtet sein Verhalten und richtet sich strikt nach seinen Anweisungen. Für den Hirtenhund ist der Schäfer der Alpha-Wolf.“ – „Ist ja interessant“, bemerke ich, „du meinst also, daß...“ „Genau“, sagt Willy, „der bedauernswerte Hirtenhund hat die Arbeit von zehn Wölfen zu leisten, er versucht sich wie ein ganzes Rudel aufzuführen. Das erklärt, warum diese Hunde viel früher zugrunde gehen als andere Hunderassen, zumeist an Erschöpfung.“

Bis dahin fand ich Willys Vortrag noch ganz spannend, doch als er einfach immer weitermacht und mir auch noch die zehn Kommandos des Schäfers haarklein aufdröselt, schalte ich auf Durchzug. Ich denke an „Ein Schweinchen namens Babe, Teil 2“ und hoffe, daß darin wieder Hühner abgemurkst werden und daß die Katze wieder den Deppen spielen muß.