: Blauer Engel im Fegefeuer
Auch das 2:1 des Hamburger SV gegen Borussia Mönchengladbach kann die Turbulenzen um Seelers Vorstand nicht stoppen ■ Aus Hamburg Clemens Gerlach
Hamburg (taz) – Beistand kann der HSV derzeit gut gebrauchen. Kein Tag vergeht, ohne daß nicht neue Vorwürfe gegen den Vorstand erhoben würden. Der Präsident Uwe Seeler fühlt sich und seine Führungsfreunde „durch gezielte Falschmeldungen in den Dreck gezogen“ und fragt: „Was steckt hinter dieser schmutzigen Kampagne?“
Das weiß mittlerweile niemand mehr so genau – auch nicht Ludwig Averkamp. Dabei, so sagt man, verfüge nämlicher über noch bessere Kontakte als HSV-Vize Volker Lange und habe deshalb die besten Informanten überhaupt: „Der hat den Draht nach ganz oben.“ Kein Wunder, Averkamp ist der Erzbischof von Hamburg. In den 50ern, während seiner Studienzeit, war der ranghöchste Katholik der Hansestadt selbst aktiver Fußballer: Anfänglich Stürmer, verbrachte Averkamp den Abend seiner Karriere in der Abwehr – „als letzter Mann zum Wegbolzen“.
Nun weilte der kickerfahrene Kirchenmann am Dienstag abend nicht deshalb im Volksparkstadion, um mit dem HSV über sein Comeback als klassischer Ausputzer zu verhandeln. Ludwig Averkamp wollte sich nur das Bundesligaspiel gegen Gladbach ansehen. Schon geschah ein Wunder: Die Hamburger siegten 2:1. Der bislang wenig spirituell veranlagte Vorstand des HSV soll jetzt intensiv darüber nachdenken, den Glaubensvertreter an allen wichtigen Entscheidungen zu beteiligen. Selbst ein Wechsel aus dem evangelisch-lutherischen Lager ins purpurne Team ist nicht mehr ausgeschlossen.
Gleichwohl droht der erzprotestantische Aufsichtsrat damit, bei Schatzmeister Jürgen Engel Paragraph 11 ziehen zu wollen. Ein verständlicher Schritt. Woher sonst soll der HSV fürderhin für teures Geld eins a russische Jutetaschen und dänische Autopolitur beziehen, um damit sein Fanartikelsortiment aufzupeppen? Engels Geschäftsbeziehungen sind wichtig für den Verein. So einen Mann darf man nicht ziehen lassen. Um den Kaufmann und Hotelier längerfristig zu binden, ist an eine Ausweitung seiner Kompetenzen gedacht. Der 61jährige Kassenwart – Spitzname „Der blaue Engel“ – soll zusätzlich noch Umweltbeauftragter des HSV werden. „Wer Jutebüdel einkauft und nicht Plastiktüten, beweist ein hohes Maß an ökologischer Lauterkeit“, heißt es in einer geheimen Vorlage des Kontrollgremiums um Dagmar Berghoff.
Ganz offen auf dem Tisch liegen die Anschuldigungen gegen den 2. Vorsitzenden Volker Lange. Der soll bei der Entscheidung des Hamburger Senats für den Bau eines neuen Stadions kräftig gemauschelt haben. Den Zuschlag erhielt jüngst ein Konsortium, das der ehemalige Wirtschafts-, Innen- und Bausenator zuvor beraten hatte. Lange gibt sich unschuldig: „Der Vertrag wurde rechtzeitig aufgelöst.“ Aus seinen Kontakten hatte er nie einen Hehl gemacht – auf seiner Visitenkarte steht „Political Consultant“ und nicht „Wohltäter der Menschheit“. Wegen seiner prima Beziehungen und guten Ortskenntnisse im Filzdschungel der Stadt war er sogar vor dem Amtsantritt des Seeler-Teams im Herbst 1995 als besonders hilfreich für den HSV gepriesen worden.
Das ist heute anders. Überall wird Unrat gewittert, die Empörung ist groß. „Hätten wir das nur vorher gewußt, wer konnte denn ahnen.“ Mal sind es 45 Millionen Mark Steuergelder, die durch die – so wird suggeriert – von Lange herbeigeführte Senatsentscheidung verballert werden. Inzwischen wurde nachgerechnet: In Wirklichkeit gehen 112 Millionen einfach so dahin, weil die eine halbe Milliarde verbauen wollenden Stadionplaner das Gelände im Volkspark zum symbolischen Preis von einer Mark erhalten. Ojemine, da liegt anscheinend Bürgerbetrug vor. Und an allem soll Volker Lange schuld sein. Vermutlich dank telepathischer Fähigkeiten steuert der abgetretene Spitzen-Sozialdemokrat die gesamte Hamburger Landespolitik. Bürgermeister Henning Voscherau, so muß man folgern, ist nichts als ein willfähriger Helfershelfer, Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow eine Marionette. Muß ein aufgeweckter Typ sein, dieser Lange. Nur mit Ostimmobilien hat er Probleme. Kann „'ne alte Bruchbude“ (Hamburger Morgenpost) nicht von einem soliden Greifswalder Anlageobjekt unterscheiden. Wir lernen: Volker Lange regiert zwar Hamburg, aber von ein paar neufünfländischen Maklern läßt er sich über den Verhandlungstisch ziehen.
Morgen vormittag wird wieder verhandelt – vor dem Hamburger Landgericht. Es geht um die Behauptung eines ehemaligen HSV- Mitarbeiters, Uwe Seeler habe eine Lagerhalle zu überhöhten Preisen an den Verein vermietet. Das darf Ex-Merchandising-Mann Frank Frede wieder öffentlich erklären, wenn das Gericht seinem Widerspruch gegen die von Seeler erwirkte Einstweilige Verfügung folgt. „Uns Uwe“ wird vermutlich als Zeuge erscheinen. Falls Hilfe von oben ausbleibt, muß der Boss nicht verzweifeln. Sein Rechtsbeistand ist mit dabei.
Borussia Mönchengladbach: Kamps - Andersson - Hoersen (6. Paßlack), Fournier - Nielsen, Effenberg, Lupescu, Pflipsen (76. Pettersson), Schneider - Juskowiak, Dahlin
Zuschauer: 22.221; Tore: 1:0 Salihamidzic (56.), 2:0 Salihamidzic (74.), 2:1 Lupescu (88./Foulelfmeter)
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