TV-Journalismus im Zeugenstand

Im Kindesmord-Prozeß sollte eigentlich der Exgeliebte von Monika Böttcher, frühere Weimar, im Mittelpunkt stehen. Ausführlicher widmete sich das Gericht aber „Spiegel TV“  ■ Aus Gießen Heide Platen

Nicht einmal das Hinterrad eines Rollstuhls bekamen die sich im Gießener Landgericht drängelnden Kamerateams gestern vormittag von dem so sehnlich erwarteten Zeugen, dem mittlerweile schwerkranken Ex-GI Kevin Pratt, zu sehen.

Der aus den USA eingeflogene ehemalige Liebhaber der wegen zweifachen Kindsmordes angeklagten Monika Böttcher, geschiedene Weimar, mußte versteckt warten. Damit sicherte das Gericht nicht nur den Schutz des Zeugen, sondern unfreiwillig zugleich auch die Exklusivrechte vor der anstürmenden Konkurrenz, die Spiegel TV für 10.000 Dollar an dem Mann erworben hatte. Das jedenfalls sagte jener TV-Reporter Helmar Büchel gestern im Zeugenstand aus, der Kevin Pratt im Juli 1996 in seinem Heimatort in einem Hotel interviewte. Vorher sei, zusammen mit einer Rechtsanwältin, ein einjähriger Exklusivvertrag ausgehandelt worden.

Pratt habe das Geld sofort haben, der Fernsehmann erst hinterher zahlen wollen. Büchel: „Ein Freund hat das Geld dann während des Gesprächs treuhänderisch bekommen und darauf aufgepaßt.“ Monika Böttchers Verteidigung mißt dem Zeugen Pratt in diesem Wiederaufnahmeverfahren bisher weit weniger Bedeutung zu als die Nebenklage. Sie interessierte sich gestern statt dessen viel mehr für das Zustandekommen des 106 Seiten langen Interviews, das im Stil „eines Vernehmungsprotokolls“ geführt worden sei. Monika Böttcher, im Januar 1988 in Fulda zu lebenslanger Haft verurteilt, hatte etliche Telefongespräche mit ihrem Geliebten geführt und sich mit ihm getroffen, nachdem ihre beiden Töchter Karola (5) und Melanie (7) im August 1986 nach einer tagelangen Suchaktion erstickt und erwürgt nur einige Kilometer weit von ihrem Elternhaus im Gebüsch gefunden worden waren. Unter Mordverdacht war die Frau erst Wochen später geraten und hatte dann ihrerseits ihren Ehemann, Reinhard Weimar, beschuldigt, die Kinder nachts getötet zu haben.

Die Protokolle der polizeilich mitgeschnittenen Telefonate mit dem Freund hatten beim Fuldaer Urteil keine Rolle gespielt. Nicht nur, weil sie eher Belangloses enthielten, sondern deshalb, weil auch Verteidigergespräche mitgeschnitten worden waren. Von Pratt nun erhofft sich vor allem die Nebenklage, die die Interessen von Reinhard Weimar vertritt und vom Spiegel bezuschußt wurde, völlig neue Erkenntnisse, die auch den US-Amerikaner in Tatverdacht bringen könnten. Das hatte bisher selbst die Gießener Staatsanwaltschaft nicht so recht erkennen können. Dennoch war Pratt gegen Erstattung erheblicher Unkosten für sich und seine Pflegerin und Lebensgefährtin schon am Montag in Frankfurt gelandet und mußte sich seither, wie Zeuge Büchel bestätigte, vertragsgemäß vor zahlreichen Medien, die ihm „von Schreinemakers bis zu Nachrichtensendern die Tür einrennen“, verstecken.

Büchel hatte dem Mann, der seine Exgeliebte im Gefängnis besuchen wollte, auch von diesem Kontakt abgeraten. Als Zeuge vor Gericht, versicherte Büchel dem Vorsitzenden Richter Weller, dürfe Pratt trotz des Honorars „selbstverständlich“ aussagen. Büchel räumte auf Befragen der Verteidigung ein, er sei bei dem Interview schlecht vorbereitet gewesen und habe wichtige Fakten damals noch nicht gekannt: „Es war vielleicht ein bißchen wackelig oder falsch, es sollte ja auch nicht Lichtjahre Bestand haben. Ich bin Journalist und kein Richter.“ Zu den „wackeligen“ Fragen sei außerdem auch „Bluff“ gekommen. So hatte er Pratt zum Beispiel suggeriert, die Tonbandprotokolle von dessen Telefonaten mit Monika Weimar zu kennen, und außerdem behauptet, die Monika Böttcher zur Last gelegte Tatzeit sei „wissenschaftlich“ erwiesen. Der Hamburger Verteidiger Maeffert: „Sie wollten versuchen, den Fall zu lösen.“ Das, so Büchel, sei schließlich „nicht strafbar“. Zum Nebenkriegsschauplatz der Medien wurde der Gerichtssaal gestern endgültig, als Helmar Büchel, klein, energisch und selbstbewußt, seinerseits zum Angriff überging und der Verteidigung vorwarf, sie vermarkte ihre Mandantin doch ebenfalls. Rechtsanwalt Gerhard Strate reagierte explosiv: „Ich verbitte mir das. Ich führe keine Verhandlungen mit Boulevardmedien.“

Bei Redaktionsschluß wurde die Verhandlung im Saal 207 des Gießener Landgerichts für 90 reservierte Presse- und 30 Zuschauerplätze noch immer ohne die eigentliche Attraktion, den Zeugen Pratt, fortgesetzt. Pratt soll auch über das Mordmotiv der Monika Böttcher, zum Beispiel die seinerzeit von der Anklage unterstellte sexuelle Hörigkeit, aussagen. Pratt wird auch heute wieder im Gerichtssaal erwartet.