Kohl gesprächig, Kumpel gespannt

■ Heute trifft der Kanzler Bergbau-Gewerkschafter Berger – und 100.000 Kumpel drohen mit Bonn-Besuch

Bonn (taz) – Heute soll nun also mit zweitägiger Verspätung in Bonn das Kohlegespräch zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Chef der IG Bergbau, Hans Berger, stattfinden. Kohl selbst kündigte in München an, die Gespräche fortsetzen zu wollen. Die Fraktionschefs von Union und FDP, Wolfgang Schäuble und Hermann Otto Solms, haben im Kohlestreit Kompromißbereitschaft angedeutet. Noch allerdings liegen die Positionen denkbar weit auseinander: Die Gewerkschaft fordert 6,5 Milliarden Mark Subventionen bis zum Jahre 2005 vom Bund, die Regierung will aber nur 3,8 Milliarden zahlen.

Unterdessen setzten die Bergarbeiter in den Kohlerevieren an der Ruhr wie in Bonn am Rhein gestern ihre Protestaktionen fort. Was ist also unter dem Druck der Straße zu verstehen, unter dem der Kanzler am Montag nicht verhandeln wollte? „Natürlich darf demonstriert werden“, erklärte dazu Regierungssprecher Peter Hausmann gegenüber der taz. „Es geht ja auch nicht darum, daß die Bundesregierung einen kritikfreien Raum wünscht. Das Wie ist die Frage.“

Auch für die protestierenden Bergleute. Nachdem die meisten Kumpel von Rhein und Ruhr wieder nach Hause gefahren waren, kamen am Dienstag abend ihre Kollegen von der Saar in Bonn an. Gewerkschaftschef Berger beschwor auch sie, ihre Proteste zu verlagern. Wenn das Gespräch mit Kohl „kein Ergebnis bringt, sind wir alle wieder hier, 50.000 oder 100.000 Bergleute“. Manchen war das zuwenig. Sie wollten bleiben. Nach erregten Diskussionen folgten dennoch fast alle Bergleute dem Appell. Sie fuhren nach Köln, um dort in einem Zeltlager das Ergebnis des heutigen Kohlegesprächs abzuwarten.

Ob dieses Ergebnis auch Einfluß auf die Verhandlungen zwischen Koalition und SPD über die Steuerreform haben soll, ist unter führenden Sozialdemokraten offenbar umstritten. Fraktionschef Rudolf Scharping erklärte auf einer Kundgebung der Bergleute gestern in Bonn, seine Partei wolle die Steuergespräche mit der Koalition nur wieder aufnehmen, wenn die Zukunft des Bergbaus ohne Entlassungen gesichert sei. Dagegen bestritt Geschäftsführer Franz Müntefering in einem Radiointerview, daß die SPD die Fortsetzung der Steuergespräche von einer Einigung im Kohlestreit abhängig gemacht habe.

Auch eine Aktuelle Stunde im Bundestag, bei der es eigentlich um die Castor- Transporte gehen sollte, wurde vom Streit um die Proteste der Kumpel beherrscht. Mit der Frage der Grenzen legitimen Widerstands setzten sich Sprecher aller Fraktionen auseinander. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle schoß scharf gegen die Solidarität des SPD-Vorsitzenden mit den Bergleuten: „Der Demagoge Lafontaine zündet das Land an und verkündet, daß es brennt.“ Die Fraktionssprecherin der Grünen, Kerstin Müller, griff dagegen den Bundeskanzler heftig an: „Wer auf gewaltfreie Demonstrationen so reagiert, daß er Gespräche absagt, der will ein Volk von angepaßten Duckmäusern.“ Bettina Gaus

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