Hirn aus, Spot an, Lokalderby los!

■ Das 125. Lokalderby ist ein besonderes: Noch nie waren HSV und St. Pauli so wenig aneinander interessiert – kein Wunder: Die gebeutelten Vereine haben derzeit genug mit sich selbst zu tun

„Hast du schon eine Karte für's Derby?“fragten sich die Hamburger Fußballfans noch vor wenigen Jahren bereits einige Tage vor dem für sie „wichtigsten Spiel der ganzen Saison“. Natürlich hatten viele, denn wer den Kampf um die fußballerische Vorherrschaft in der Hansestadt zwischen dem HSV und St. Pauli verpaßte, war kein „echter“Fußballfan.

Die Zeiten sind jedoch vorbei, als über 50.000 Zuschauer das Volksparkstadion füllten und Ex-St.-Pauli-Akteur Rüdiger Sonny Wenzel den Stift zur Hand nahm, um seinen Ergebnis-Tip für den bevorstehenden innerstädtischen Vergleich auf dem Spielball zu notieren.

In diesem Jahr wurden so wenig Karten, wie schon lange nicht mehr im Vorverkauf abgesetzt. „Es sind bislang 22.000 Karten verkauft“, berichtet St.-Pauli-Geschäftsführer Mario Abad, „es gibt noch Karten in allen Kategorien.“

Insgesamt ist nicht gerade Derby-Time: Hamburger SV und FC St. Pauli haben ihre Zeit mit weitaus wichtigeren, internen Vereinsangelegenheiten verplant. Keine Frage, daß der 125. Vergleich heute abend stattfinden wird, nur könnte dieses Mal das Vorspiel interessanter sein als das eigentliche Ereignis: Hat der HSV in der Person von Vereinsboß Uwe Seeler bereits verloren, bevor abends um 19.30 Uhr angeblasen wird?

Heute um 11 Uhr verhandelt das Hamburger Landgericht den Widerspruch des ehemaligen Leiters der Merchandising-Abteilung, Frank Frede, gegen die von Seeler erwirkte Einstweilige Verfügung. Dem Fanartikel-Höker war untersagt worden, weiterhin Uns Uwe öffentlich des Mietwuchers zu beschuldigen. Laut Frede soll Seeler seine Lagerhalle zum doppelten des marktüblichen Preises an den HSV vermietet haben.

Der FC St. Pauli blickt dagegen bereits auf kommenden Montag abend, wenn die Baupläne des neuen Stadions vorgestellt werden sollen. In „Schmidt's Tivoli“will Präsident und Architekt Heinz Weisener nach den Herzen der FC-Gemeinde nun auch die der st.-paulianischen Anwohnerschaft erobern.

Das dürfte nicht so leicht werden, schließlich befürchten nicht wenige noch mehr Verkehr und Lärmbeslästigungen, sollte Weisener Sr. wie geplant seinen 35.000 Zuschauer großen „Super-Papa-Dome“aufs Heiligengeistfeld stellen. Zudem: Wie soll sich der Betrieb eines solch großen Stadions rechnen, wenn darin womöglich nur ein Zweitligist beheimatet ist?

Bei derartig außersportlichen Vereinsinteressen verkommt das Jubiläumsderby zu einer eher langweiligen Begleiterscheinung. Jeder der Jubilare ist mit sich und seinen Affären genug beschäftigt, so daß momentan für Konkurrenzdenken kein Platz ist.

Von vor Spannung knisternder Atmosphäre und Rivalität war somit nichts zu spüren, als die unbeteiligt beteiligten Parteien am Mittwoch ins Clubhaus des FC St. Pauli zur gemeinsamen Vor-Derby-Pressekonfe-renz luden. Die Trainer hatten nicht viel zu sagen. „Wir werden kämpfen“, lautete das gemeinschaftliche Motto im Hinblick auf das Spiel.

Immerhin bot sich so die Gelegenheit, bedeutsame Fragen zu diskutieren, wie zum Beispiel die, wer sich in welcher Kabine umzuziehen habe. FC-Coach Uli Maslo hatte da ganz spezielle Vorstellungen: „Wir haben ein Heimspiel.“Etwas wie „Kinderkram“zischte Kollege Felix Magath vom HSV. Ergebnis des Diskurses: 1:0 für St. Pauli – der HSV muß mit der Kabine für die Auswärtsmannschaft vorliebnehmen.

Dennoch sieht Uli Maslo, dessen FC seit fast 20 Jahren auf einen Derby-Sieg wartet, den HSV in der Favoritenrolle: „Wir sind der Außenseiter“, erklärte der 58jährige Übungsleiter, „eine Position in der es sich aber manchmal auch sehr gut leben läßt.“

Auch der HSV stapelt tief: „Wir sind sportlich bescheidener geworden“, verkündete der sonst so ehrgeizige Coach Felix Magath, „wir brauchen jedoch die Punkte, um wieder etwas mehr Ruhe in die Mannschaft zu bekommen.“

Viel nötiger hat die so wichtigen Zähler aber der FC St. Pauli. Manager Helmut Schulte hat schon vorsorglich „das Gehirn abgestellt“, um nicht an die Folgen einer weiteren Niederlage denken zu müssen. Gar nicht nötig, sagt Meister Maslo: „Bei uns hängen die Burschen nicht durch.“

Oliver Lück