Überall ist Anatevka

■ Jubel, Trubel, Begeisterung: In der Shakespeare Company erstehen die Comedian Harmonists wieder auf

ines Tages wird ein großes Raumschiff auf der wüsten Erde landen. Und nachdem sich Dampf und Staub langsam verzogen und zu Boden gesenkt haben werden, wird sich eine Tür öffnen, und ein kleines grünes Männchen wird aussteigen. Nachdem es seinen Fuß vorsichtig auf den sandigen Boden gesetzt und sich nach allen Seiten wird umgesehen haben, wird es von Ferne Klänge vernehmen. Klänge eines Liedes. Eines Männerquintetts. Die Comedian Harmonists. „Mein kleiner grüner Kaktus...“Und das kleine grüne Männchen wird lächeln. Und es wird einschlafen – und einen Alptraum erleben.

Die Bremer Neustadt. Das Theater der Shakespeare Company. Sozusagen das meiste Theater der Stadt, weil es vom Publikum ganz besonders geliebt wird. Nur die örtliche Presse hackt angeblich in einem fort auf ihm rum. Doch was zählt schon die Presse, wenn die Bühne selbst nach vier Premierenstunden von Beifallstürmen umtost wird und sich in ein Blumenmeer verwandelt. Sie zählt nichts gegen die Freude in den Gesichtern der Menschen auf den Brettern und im Parkett, gegen dieses Gefühl, eine gemeinschaftliche Leistung vollbracht oder ihr beigewohnt zu haben. Wer daran teilnimmt, empfindet Glück. Wer nicht, sieht Berechnung.

Auf der Suche nach publikumswirksamen Alternativen zum Hausautor Shakespeare ist die Company diesmal im Barbershop fündig geworden. Schon seit Jahren schlummerte im Kopf des Company-Regisseurs Pit Holzwarth die Idee, die legendären Comedian Harmonists in einer dramatisierten Bühnenfassung wieder auferstehen zu lassen. Weil sich alsbald der Tag der Gründung dieses Sextetts von fünf Sängern und einem Pianisten oder von drei jüdischen und drei nicht-jüdischen Künstlern zum 70sten Mal jährt und dem Vernehmen nach sogar Hollywood einen Kassenschlager zum Thema plant, schritten Spielleiter Holzwarth, der Company-Aussteiger Renato Grünig und – selbstverständlich – das Ensemble zur Tat. Also entstand ein Stück mit dem Untertitel „Phantasie über einen Mythos“und nach monatelangem Proben, Aneinanderschmieden, Debattieren und Kürzen auch ein Theaterabend.

Das Land Phantasien liegt in der Diaspora und ist nur einen Steinwurf von Anatevka entfernt. Auf dem Boden kauernd, schaulauschen Väiterchen Frommermann (Robert Brandt) und Söhnchen Harry (Christian Aumer) der Venus, dem hellsten Stern am Firmament und der schönsten Stimme in den Sphären (am Mikrophon und als Geräuschemacherwerkstatt effektemachend: Lou Simard). Ein Musenkuss! Harry, der spätere Gründer der Comedian Harmonists, fühlt sich zu Höherem berufen. Clown will er werden. Und nicht mehr weiter auf dem Schtetlboden kauern.

Die Erfindungen von Rückblenden, Collagetechniken und montierten Spannungsbögen sind der Dramatikerwerkstatt der Company keine probaten Mittel. Holzwarth & Co erzählen statt dessen chronologisch und fügen vor der Harmonists-Gründung drei Kindheits- an drei Jugendmuster. So folgt auf das erste Schtetl-Kauern bald ein zweites, und beide werden zum Deutlich-Machen unterbrochen von einem Deutschen-Protzen: Im Matrosenanzug bratzt Klein-Erwin Bootz (Uta Krause), der spätere Pianist, über Tasten und Bühne und serviert – durchaus komisch, doch im Kontrast zum Vorher und Nachher – vor allem den Ariernachweis.

das kleine grüne Männchen schreit kurz auf im Schlaf und entspannt sich dann...

Eine hübsche Szene. Berlin. Anhalter Bahnhof. So wird es gewesen sein. Blitzgeschwind füllt sich der Saal mit Lärm, Musik und Stimmenklingen. Plötzlich wimmelt das Theater von Neureichen, Gecken, Zuhältern und Dadaisten. Eine Revue von Großstadteindrücken spielt sich ab, doch nach Minuten ist der schöne Spuk wieder verflogen – noch aber nicht die Hoffnung, die er weckte.

Die 20er Jahre waren bekanntlich ein turbulentes Jahrzehnt – politisch, wirtschaftlich und ästhetisch. Die Erfolgsgeschichte der Harmonists ist selbstredend mit diesen Turbulenzen verknüpft, und so halten sie auch im Theater am Leibnizplatz Einzug.

Gebaut als dramatische Komödie ist die Story des musizierenden Sextetts mit einer Entlehnung aus der Goebbels-Biographie kontrastiert. Es wechseln Slapstick und Nazi-Pathos, Gruppendynamik und 20er-Jahre-Mythos einander ab, und man ahnt, aus welchem Fundus man hier schöpft, doch die Zitate werden niemals flügge, und die Phantasie wird nie phantastisch.

Wenngleich das neunköpfige Ensemble wiedermal in viele Rollen schlüpft und ein sangeskundiges Quintett musikalisch und vor allem choreographisch durchaus gelungen die Harmonists-Clownerien adaptiert, vollzieht das Nonett vier aufgeblasene Stunden lang kaum mehr als ein Laienspiel. In den durch eine rosa Shakespeare-Blume gesprochenen Dialogen parodiert dieses Theater unfreiwillig sich selbst und das Sprechtheater mit. Denn was Figuren sein sollen, sind Karikaturen. Was Konflikte sein sollen, ist ein Sammelsurium theatraler Fettnäpfe, in denen ein chargierter Bekenntniswandel den anderen jagt.

Wer sich daran stört, ist in der Minderheit. Denn das Konzept, keinerlei Kenntnis von Epoche und Ensemble vorauszusetzen, den Clown und den Slapstick mit keinerlei weiterführenden Einfällen zu mimen, das Drama pathetisch und erschreckend naiv zu servieren und auf Charaktere einfach zu pfeifen, geht hier – in voller Berechnung – auf.

Das kleine grüne Männchen erwacht. Von Ferne hört es tosenden Beifall. Und dann steigt es zurück in sein Raumschiff und denkt beim Abheben, was für seltsame Wesen diese Menschen doch gewesen sein müssen. Christoph Köster

Weitere Termine für die „Comedian Harmonists“: 14., 15., 29. und 30. März um 19.30 Uhr