Finger weg vom Weihnachtsbaum!

■ Robin-Wood-Leute wg. Protest gegen Waldsterben verurteilt

Prächtig stand er da, mitten auf dem Gerhard-Hauptmann-Platz. Zugegeben, der 20 Meter hohe Riese mußte geschient und zusammengestückelt werden. Aber das sah ja keiner. Die Schönheit des höchsten Hamburger Weihnachtsbaums bekam erst einen Knacks, als ihm ein paar junge Leute von Robin Wood mit Sägen zu Leibe rückten. Das geschah zur Weihnachtszeit, am hellichten Tag des 18. Dezember 1993. Gestern saßen drei von ihnen wegen „gemeinschädlicher Sachbeschädigung“ vor Gericht.

„Wollten Sie verhindern, daß sich die Leute Weihnachtsbäume ins Wohnzimmer stellen?“ fragte Richter Klaus Tempke. Diese symbolische Aktion sollte zeigen, so die Angeklagten, daß die Bäume im Wald nicht so schön aussehen wie dieser präparierte Baum, sondern de facto krank seien.

Dieselbe Protestaktion fand zeitgleich in sechs deutschen Städten statt. Mit dem einen Unterschied, wie einer der Robin-Woodler beteuerte: Nirgendwo sonst habe es derart massive Angriffe von Passanten, geschweige denn eine Strafverfolgung gegeben.

Anders in Hamburg. Richter Tempke tat sich sichtlich schwer. Nicht, daß er die hehren Ziele der Umweltschutzorganisation nicht unterschreiben könnte. Auch habe er gegen Plakate an Schornsteinen nichts einzuwenden. In diesem Fall sei aber ein beträchtlicher Schaden von 8500 Mark für die Nach-Kosmetik entstanden.

Selbst nachdem die Staatsanwaltschaft vorschlug, den Prozeß einzustellen, ließ sich der Richter nicht erweichen. „Wissen Sie“, holte er aus, „ich mach' das jetzt schon seit zehn Jahren. Reihenweise verurteile ich Leute, die für 20 Mark Sachen bei Budnikowski geklaut haben oder schwarz gefahren sind.“ Derart warmgeredet, bekam die Anklage gleich auch noch ihr Fett ab: Erst bekomme er die Strafbefehle, und wenn's ernst werde, mache die Staatsanwaltschaft wieder einen Rückzieher.

Nun griff auch die Verteidigung in den Werkzeugkasten: Es könne doch nicht angehen, daß der Richter den Frust über schlecht durchsetzbare zivilrechtliche Ansprüche – also Schadenswiedergutmachung – in diesem Strafverfahren ablade.

Tatsächlich hat der Gärtner für die Nachbesserungen (dafür mußte übrigens erneut ein Baum gefällt werden) bislang keinen Pfennig gesehen. Auf die Frage, warum er zivilrechtlich nicht geklagt habe, antwortete er: „Da schlagen zwei Seelen in meiner Brust. Ich meine, ich fand das nicht spaßig. Die Aktion war sicher auch nicht ungefährlich, weil der Platz zu der Zeit brechend voll war. Aber“, gestand er, „ich bin auch Robin-Wood-Mitglied.“Am Schluß gab's einen Kompromiß, bei dem alle ihr Gesicht wahren konnten: Jeder muß 1000 Mark löhnen – direkt an den Gärtner. AH