Stereotypen statt Sinnlichkeit

■ Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt von morgen bis zum 2. April die Fotoausstellung „Deutschland erotisch“ Von Christoph Schlee

Ein einziger Raum vollgestopft mit Aktfotografien und ein Titel mit ungewöhnlichem Anspruch: „Deutschland erotisch“. Weshalb eigentlich Erotik? Und warum gleich eine ganze Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe von morgen bis zum 2. April? Simple Fragen, die Professor Welfhard Kraiker, einer der Initiatoren der Ausstellung, ebenso lapidar beantwortet: „Weil es jeden interessiert.“ Es, das sind 80 Fotografien von ebensovielen Fotografen verschiedener Couleur: welche aus Werbung oder Food-Design, Industrieproduktablichter, aber auch „Freischaffende“.

Aber interessiert es wirklich jeden, wie Kraiker zu wissen glaubt? Könnte nicht gleichfalls entgegnet werden: Erotik dient wieder einmal Werbezwecken, schließlich handelt es sich ja um einen Hamburger Verlag, der das Ganze anläßlich seines 25jährigen Jubiläums ausgelobt hat. Die Jury, bestehend aus Vertretern seriöser Hochglanzmagazine, weiß ganz gut, was am knalligsten wirkt. Aus 270 Einsendungen wählten sie anscheinend die 80 Ausstellungsbeiträge aus, die der PR-Maxime „Sex sells“ am besten entsprechen. So sind es vor allem Frauenakte, die – wen eigentlich? – locken sollen. Sitzend, stehend, mit gespreizten Beinen, in Strip-Lokalen oder beim Onkel-Doktor-Spiel – der Betrachter wird von einem Körper-Kabinett erschlagen, so wie es wohl auch sein soll.

Fehlen dürfen natürlich auch nicht die allegorischen Darstellungen: Die Gekreuzigte oder die Lederfrau neben totem Delphin am Meer. Die Heilige neben den sehr viel zahlreicheren Abbildungen der Hure, das zweite, eigentlich erste der beiden Frauenstereotypen. Augenscheinlich dominieren die Männerphantasien: Da, wo die nackte Putzsklavin von dem befrackten Herren mit Zigarre unbeteiligt gemustert wird, wie sie einen Müllsack zubindet (D. Blum); auch im Fall der auf einem Sessel drapierten Frau – einer Prostituierten? – mit geöffneten Schenkeln, neben ihr der bekleidete Junge (H. J. Burkhard), beide in sich versunken und voneinander isoliert. Hier bleibt die Konsumierbarkeit bestehen, wird aber durch den passiven Akteur (= Mann) gebrochen.

Nur einigen wenigen Interpreten gelingt es, Gefühl und Phantasie anzusprechen, ohne die platten Stereotypen zu bedienen: Portraits mit ungewöhnlichem Hintergrund, Gesichter, die schauen und Rätsel aufgeben, statt nur als Körperanhängsel zu fungieren. Interessant zum Beispiel Marie Weiss' „Freundinnen“, eine zärtliche Bilderfolge zu zweit, die an einen Film erinnert und Bewegung erfahrbar macht: Bilder, die Tanzen und Spielen mit dem Medium der Fotokamera anschaulich verkörpern, Leichtigkeit verbreiten statt schwülstiger Bedeutungslastigkeit oder stupender Langeweile, die das Thema Erotik – wohl nicht nur in dieser Ausstellung – immer noch zu belagern scheinen.

So ist das Auswahlkomitee „seiner Aufgabe, einen subjektiv repräsentativen Querschnitt auszuwählen“ leider allzu gerecht geworden. Gottseidank liegen einige immer quer zum Querschnitt.