Uneitle Freiheit der Gestaltung

■ Gerhard Oppitz gastierte am Donnerstag in der Musikhalle

Hätte er nicht stellenweise die Kraft eines Grizzly in seinen gedrungenen Fingern, man könnte Gerhard Oppitz, den Bemerkenswertesten unter den deutschen Klaviervirtuosen der Gegenwart, nach Statur und Liebenswürdigkeit als das Gegenteil eines Tastentigers bezeichnen, als einen Tastenteddy nämlich.

Keineswegs so harmlos wie das klingt, legte der stämmige Bayer am Donnerstagabend indessen Beethovens Sonate op.31/3 an. Die hat keinen langsamen Satz, will aber trotzdem Abwechslung, die Oppitz ihr schuf, im Menuett gar mit schubertischer Sanglichkeit. Von der Treue zum Buchstaben führte Oppitz der Beethoven-Weg in den letzten Jahren offenbar zu einer uneitlen Freiheit der Gestaltung.

Beethovenhaft ging es weiter in der Wanderer-Fantasie, an deren Anfang Oppitz „seinen“ Schubert wie einen Spätklassiker, nicht wie einen Frühromantiker spielte. Dramaturgenlist verlangt Schuberts Fantasie-Sonate vom Klavieristen, Wandlungsfähigkeit und schließlich die Kunst des Kippens: Aus Beethovens Donner will Schuberts Dämmer werden, aus Leid ein Lied, und erst ins Schlußfugato fällt wieder der lange Schatten des Titanen. Vielleicht fehlte Oppitz' Vortrag im furios-virtuosen Finale noch ein Letztes an Bravour und Struktur. An Mühelosigkeit und Perfektion fehlte nichts.

Nach der Pause Brahms. Für Oppitz, der bereits das ganze Soloklavier-Oeuvre des Wieners aus Hamburg auf Tonträger vorgelegt hat, ein Heimspiel. In den zwei Rhapsodien op.79 schuf er mit Hilfe aller Gliedmaßen plus beider Pedale orchestralen Fien de Siècle-Prunk. Die Variationen nebst einer Fuge über ein Thema von Händel op.24 gaben ihm Gelegenheit, mittels aller Möglichkeiten des Instruments alle seine Möglichkeiten an Ausdruck und Form zu durchspielen.

Glockenhelle Kraft kam da vor, klobige Feierlichkeit, und munter sprang das Lied, bevor es zu triumphaler Fuge wurde. Von Variation zu Variation, schien es, genoß Oppitz in Brahms das eigene Können. Nach dem fünften Hervorholen eine Zugabe. Dann verließ Gerhard Oppitz die Bühne wie er sie betreten hatte: freundlich gelassen.

Stefan Siegert