Niemals woanders gewesen?

■ Debbie Harry und die Jazz Passengers in der Fabrik

In der Fabrik hatte man sich versammelt, als wollte man nach dem Homöopathie-Kongreß den Abend gütlich ausklingen lassen. Milde Menschen, die sich nicht zuviel zumuten und von anderen entsprechende Rücksicht erwarten, fletzten sich auf den Stühlen vor der Bühne. Die Sorte Jazz, die Debbie Harrys Band dann zur gediegenen Ermunterung spielte, produzierte in den Köpfen der Zuhörer robuste Bilder: ein Sonntagvormittag, ein Treffen im Vereinsheim, Dartsscheiben, Dartswerfer und der „Hobbythek“-Moderator Jean Marie Puetz als umschwärmter Frauenliebling.

Harrys Band legte los wie eine Animations-Crew. Das Sextett präsentierte sich in jener Art guter Laune, bei der die Betreffenden nicht müde werden, sich gegenseitig zu versichern, daß es sich bei allem und einem selbst um einen wirklich köstlichen harr-harrigen Spaß handle. Nach einer Viertelstunde Jazz-Stadl vor Leuten stieß die frühere Sängerin der Intelligenz-Pop-Band Blondie dazu. Debbie Harry tut seit einigen Jahren nur noch, was sie von einem Moment auf den anderen interessiert, für ein Duett tat sie sich mit Iggy Pop zusammen und für einen Film von John Waters übernahm sie eine lohnende Rolle.

Die Zusammenarbeit mit ihrer jetzigen Gruppe fußt auf dem hörbaren Entschluß, tiefen, „vielschichtigen“, vielleicht gar „echten“ großen Gefühlen gesanglich nachzuspüren. Im Zusammenspiel ergab sich am Dienstag abend eine freundliche Comic-Version des Gesamtwerks von Sarah Vaughn. Im seltsamen Einvernehmen mit ihren Kollegen signalisierte Harry, daß die Darbietung nur von Leuten verstanden werden kann, welche sozusagen außer Konkurrenz die noch vor ihnen liegenden Jahre verbringen.

Wie 1978 ist Debbie Harry jemand der viel weiß, ohne weise zu sein. Aber im Gegensatz zu den damals erschienenen Plastic Letters interessiert sich Debbie Harry heute für „richtige“ Kultur, getilgt von Satire und befreit vom Zwang zur Schnelligkeit.

Der Abend lehrte: Es gibt viele Möglichkeiten, Punk und die 80er Jahre zu übersehen. Es gibt aber außerdem eine Möglichkeit, sich so weit davon zu entfernen, daß man irgendwann sagen kann, nie dort gewesen zu sein, wo andere einen damals verorteten.

Kristof Schreuf