: Brauserich mit Wut im Kopf
■ Wolf-Dietrich Sprenger inszeniert Molieres „Menschenfeind“im Bremer Goethetheater
Ach. Wieder einmal ist die Welt schlecht. So richtig schlecht – eine Molierewelt. Geht man damit spielerisch um, dann ist der „Menschenfeind“eine böse Gesellschaftssatire. Versucht man die Welt zu verändern, dann wird das Stück zur Tragödie atemlosen Sturms und Drangs. Im Goethetheater bleibt die Inszenierung Wolf-Dietrich Sprengers aber ohne vordergründige Aktualisierung im abstrakt Ungefähren: Anzüge von der „c & a“-Stange aber auch barocke Textilfragmente und Puder im Gesicht der Darsteller, die so gezeichnet die Balance zwischen Pose und Charakterkontur halten sollen.
In einem unwirtlich leeren Bühnenraum drückt sich die Gesellschaft der schamlos Lügenden immer mit dem Rücken zur Wand voreinander herum – als moralisch Angeklagte. Vorne rechts auf der Bühne befindet sich noch ein versifftes Kaminsalon-Relikt, in dem Menschenfeind Alceste haust: Der Ankläger. In der Bühnenmitte steht meist Celimene, von den lächerlichen „Decadents“wie von Alceste verehrt. Sie verteilt ihre Gunst spielerisch, doch das Spiel auch genießend. Irene Kleinschmidt zeigt eine hanseatische Tochter aus gutem Hause. Sie durchschaut alle, auch Alceste, der absolute Liebe fordert aber mit Hingabe nur Unterwerfung meint.
Wenn er eine Entscheidung von ihr verlangt, ist Celimenes „Jetztgleich?“-Antwort derart ironisch erhaben, daß einen fröstelt. Nachdem sie nicht als naives Opfer, sondern als geheime Herrscherin des Spiels mit der Liebe entlarvt wurde, darf sie endlich die schreckliche Judy-Winter-Eisenherz-Perücke vom Kopf reißen und einsam verzweifeln. Strafe muß sein, denkt wohl Sprenger.
Der Inszenierungs-Clou ist die Besetzung der Hauptrolle mit Heiko Senst. Gegen die Aufführungsgeschichte der eingebildeten Menschenfeinde sehen wir einen jugendlichen Brauserich, der pessimistische Wollust aus der opportunistischen Welt zieht, der er entfliehen möchte. Zur Kopfwut gebändigte Haßwucht gegen das Sterben an der Scheinhaftigkeit. So ist die Jugend!? Nix Diplomatisches. Unbedingte Ehrlichkeit, Wahrheitssucht, 68er-Idealismus und die durch die Aufführung geflötete „Wenn ich ein Vöglein wär“-Sehnsucht.
Sprengers Alceste darf nicht glücklich werden unter den Bedingungen der Schöpfung. Flucht unmöglich. Die Liebe wird zum letzten Rettunganker authentischen Lebens. Aber Alceste versagt, liebt die Liebe, nicht Celimene. Sprenger inszeniert dröge (man könnte auch sagen: mit asketischer Konzentriertheit), so daß das Hereintragen von Koffern schon wie eine Actionszene wirkt. O.K., Sprenger baut Clownsnummern nach immer demselben Schema ein. Aber die aufmüpfig witzigen Knittelverse, die Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens aus den Alexandrinern geschmiedet haben, werden mit einem noblen Understatement fast humoristisch ausgetrocknet.
Aber zum Glück siegt immer mal wieder die Leichtigkeit des moliereschen Wortballetts über die Regie. Sie findet in Andreas Herrmann als Philinte einen kongenialen Partner, der, wunderbar im Ausdruck minimiert, Gefühlslagen verdichten kann. Ein hackenschlagender Spießer, klar, aber nicht nur durch die tolle Darstellung Herrmanns wird er zum Held des Abends. Philinte bekommt auch recht, indem er die reizende Eliante abstaubt. Ach, immerhin ein Funken richtigen Liebesglücks im falschen Leben.
Jens Fischer
Weitere Aufführungen am 18., 19., 22. und 29.3. um 19.30 Uhr
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