Rotwelsch und Rock 'n' Roll

■ "Und da habe ich..." - also das mit dem Übersetzen ging für Harry Rowohlt schon in der Schule los. Seither kam Geschichte zu Geschichte zu Gesch...

Ich hatte eigentlich an meinem 30. Geburtstag zum letztenmal offiziell getanzt. Aber auf dem Lindenstraßen-Ball war eine so mitreißende Formation, Willi Ketzer und sein Orchester mit dem international beliebten Gesangsstar Gabi Goldberg. Da hat's mich dann doch gerissen. Und seitdem tut meine linke Schulter nicht mehr weh. Also, das war für mich Rock 'n' Roll.

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Angefangen hat Harry Rowohlt mit dem Übersetzen in der Schule. Da sollten wir als Schularbeit „Pyramus und Thisbe“ von Ovid übersetzen, immer zehn Zeilen, bis zum nächsten Tag. Und die hab' ich, weil das eigentlich, fand ich, auch nicht mehr Arbeit macht, in deutsche Hexameter übersetzt. Und dann habe ich mich daran gewöhnt.

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Ein Jahr und drei, vier Monate war ich in New York, bei Grove Press, dem Verlag, in dem alles erschien, was die Menschheit weiterbrachte. wir haben versucht, uns gewerkschaftlich zu organisieren, und daraufhin wurde ich gefeuert. Und man kann zwar in Amerika jeden jederzeit grundlos feuern, aber wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten, das geht nun leider nicht. Und dann sind wir vors Arbeitsgericht gezogen, worauf ich heute noch richtig stolz bin.

Na ja, und dann haben wir gewonnen. Das heißt, ich hab' gewonnen. Es hat sich herausgestellt, daß die gegen mich erhobenen Vorwürfe, allen voran, ich wäre CIA- Agent oder aber FBI-Agent, ausgesandt, um einen linken Verlag kaputtzumachen, daß das irgendwie nicht so richtig hingehauen hat.

Und das andere, daß ich Marihuana während der Arbeitszeit und auf Firmengelände geraucht habe, hat sich auch nicht bewahrheitet. Und daraufhin mußte ich wieder eingestellt werden und bin dann eine Woche später grundlos gefeuert worden, was man ja ganz leicht darf.

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Ich habe im West Village gewohnt, in Little Italy. Bedford Street. Ich bin jeden Morgen durch die Bleeker Street zum Verlag gegangen und an einer Buchhandlung vorbeigekommen. Und dort stand ein Buch von A.S. Neill, dem Erfinder der Antiautoritären Erziehung: „The Last Man Alive“. Das waren Gute-Nacht-Geschichten in Fortsetzung, die Neill in seinem Internat den Kindern abends erzählt hat, mit viel Action und Mord und Totschlag.

Und da habe ich meinem Bruder, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, der damals den Rowohlt Verlag leitete, geschrieben, ob es ihm entgangen sein sollte, daß es von seinem Bestsellerautor Neill nicht nur Bücher über Gören gibt, sondern auch ein Buch für Gören. Und da hat er mir geschrieben, das sei ihm absolut nicht entgangen, es sei nur leider unübersetzbar, weil Vierziger-Jahre-Gangsterslang drin vorkomme, für den es keine deutsche Entsprechung gibt.

Und da habe ich gefragt, ob ich das wohl mal versuchen dürfte. Das war dann das erste Kinderbuch, das es in die Bestsellerliste des Spiegels geschafft hat. Und Waechter, der das Buch illustriert hat, schlug mir vor, ich soll diesen Gangsterslang einfach türken, dazu habe ich aber zuviel Hochachtung vor der Sprache. Und da habe ich mir ein Lexikon des Rotwelschen besorgt. Und auf diese Weise sprechen heute immer noch, weil das ja immerhin ein Bestseller war, durchaus erwachsene Menschen von „Verfatz dich!“ für „Hau ab!“. Das war ursprünglich ausgestorbenes Rotwelsch. Und wenn es sonst nichts gäbe, worauf ich stolz sein könnte, daß die Leute „Verfatz dich!“ zu mir sagen, das find' ich schon mal nicht schlecht.

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Weil ich natürlich eine Heidenangst vor dem Rowohlt Verlag hatte, kam es für uns nicht in Betracht, uns in Hamburg niederzulassen. Und deshalb sind wir wieder nach Frankfurt gegangen, wo wir auch vorher schon waren, wo nur inzwischen mein bester Freund nicht mehr war. Der war inzwischen in Düsseldorf in einer Werbeagentur. Und die suchten händeringend junge Texter.

Und da sagte mein bester Freund, er kennt da jemanden, der kann das bestimmt, und der heißt Harry Rowohlt. Und da ham die gesagt: Harry Rowohlt? Oh, das ist doch bestimmt so'n 50 Jahre alter Sack. Nee, nee, hat der gesagt, der ist gerade 25 geworden. Und da bin ich dann einer der Väter der Peter- Stuyvesant-Kampagne geworden. „Mehr erleben in der Welt der Peter Stuyvesant.“ Und außerdem bin ich noch einer der Väter der Jägermeister-Kampagne. Jetzt bin ich wieder in Hamburg. Der Rowohlt Verlag und ich, wir haben auch nichts mehr gegeneinander. Wir leben befreundet nebeneinander her.

Neulich in Wien habe ich mir im Rundfunk auch einen lange gehegten Wunsch erfüllt. Da waren Wiglaf Droste und ich in einer Kultsendung für Hofratswitwen, „Von Tag zu Tag“ heißt die. Und dann habe ich gesagt, sag mal, Wiglaf, das wollt' ich dich immer schon mal fragen: Haste eigentlich was mit dem Droste-Verlag zu tun?

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Zur Lindenstraße – da bin ich dann unten im Treppenhaus von Dr. Dressler, und die schwarze Putzfrau kommt mit ihrem Staubsauger wie eine Vision die Treppe herunter, und ich sag' zu ihr: Na, schöne Fee! Außerdem wanke ich beinahe in die große Standuhr rein, die übrigens seit Beginn dieser Serie steht. Und der Aufzug ist gar kein Aufzug. Und die Glasbausteine im Treppenhaus der Lindenstraße, die sind aus Zellophanpapier. So! Nu wißt ihr alles. Aufgezeichnet von

Thomas Jaedicke

Am Montag, 17.3., 20 Uhr, liest Harry Rowohlt in der Kulturbrauerei