Defizite in der politischen Bildung

■ Was von Che Guevara übrigblieb - Ein Gespräch mit seinem Biographen, dem mexikanischen Autor Paco Ignacio Taibo II, der zu Beginn seiner Recherchen fürchtete, auf einen Dogmatiker zu stoßen, einen naive

taz: Wen, außer 68er-Kindern und Nostalgikern, interessiert heute noch die Geschichte des Che Guevara?

Paco Ignatio Taibi II: Ich hatte den Eindruck, daß meine Generation ihren Che längst verloren hatte, daß er mit den Jahren vage und diffus, quasi entkoffeiniert worden war. Wir verbinden zwar einen Haufen Anekdoten mit ihm, aber die ergaben längst keinen kohärenten Menschen mehr. Es ging mir also um eine Art Abrechnung mit dieser mythischen Gestalt unserer Vergangenheit. Und damit meine ich nicht, den Mythos zu zerstören, sondern ihn zu Fleisch und Blut zu machen. Und gleichzeitig sah ich meine Tochter, ihre Freunde und die Kids bei meinen Lesungen, die nur noch die Überreste einer leeren Pop-Ikone im Kopf haben.

Kann denn der Effekt des Popgeschäfts um Che als „männliche Marilyn“, also die Neutralisierung solcher Gestalten, überhaupt noch rückgängig gemacht werden?

Ich habe eigentlich gar nichts gegen die T-Shirts, mir ist es immer noch lieber, wenn einer den Che als Coca-Cola auf der Brust herumträgt. Außerdem kannst du gegen die Banalisierung solcher Gestalten sowieso nicht ankämpfen. Die einzige Art ihn subversiv zu machen, ist, ihn wieder zum Leben zu erwecken.

Wie hat sich Ihre Rezeption von Guevara verändert?

Als ich mit der Recherche angefangen habe, war das eine der größten Ängste: Und wenn ich dabei auf einen Dogmatiker stoße, der mir überhaupt nicht gefällt? Was, wenn er doch dieser naive Krieger war, wie ich zuweilen vermute? Oder einfach ein verantwortungsloser Abenteuerer? Und der Chesche Geist forderte ja von mir, daß ich ihn mit derselben Aufrichtigkeit behandele, wie er mit allen um sich herum umgegangen ist, eben immer mit der „revolutionären Wahrheit“ unterm Arm. Herausgekommen ist dann schließlich ein stimmiger Typ, der mir doch gefällt. Ich mag ihn heute auf bessere Art, nicht mehr mit dieser religiösen Verehrung. Vor allem aber mit einem ungeheuren Respekt, weil er einer war, der wirklich gemacht hat, was er gesagt hat, und immer gesagt, was er macht. Die Rückkehr zu Che ist die Rückkehr zu einer politischen Ethik.

Wegen dieser Prinzipientreue haben manche ihn ja auch gefürchtet und als autoritär und rigide beschrieben.

Es gab diese enorm hohen Erwartungen an alle um ihn herum, oder auch an sich selbst, was teilweise wirklich schreckliche Ausmaße annahm. Er wiederum hatte einen Heidenrespekt vor den Dichtern, war aber selbst nun mal gottserbärmlich schlecht. Auch seine Vorstellungen von der Sowjetunion, wo er eine immer noch gültige Revolution sah und noch nicht das Monstrum entdeckt hatte, das dahinter lauerte, waren erschütternd naiv.

Das halten Sie aber für einen verzeihlichen Irrtum?

Das waren eben Defizite in der politischen Bildung. Wir, also meine Generation und Ches, sind zehn Jahre auseinander. Und das macht genau den Unterschied aus: Wir hatten Gelegenheit, uns über die Machtkämpfe in der UdSSR zu informieren, wir hatten Zugang zu anarchistischen und situationistischen Texten. Che hat so jung angefangen, daß er politisch gegen gar nichts geimpft war. Andererseits war das auch seine Tugend: Er war nicht durch die dogmatische und sektiererische Parteilinke der fünfziger Jahre vergiftet, denn er hat schließlich einen Großteil dieser Jahre damit verbracht, durch Lateinamerika zu vagabundieren. Und genau deshalb hatte er auch wie niemand sonst eine Vision von diesem ganzen Kontinent mit all seinen Kellern und Hinterzimmern.

Schließlich die Gretchenfrage: Wie sehen Sie sein Verhältnis zu Fidel Castro? Was waren Ihre Erfahrungen mit den kubanischen Behörden?

Die famose „Distanzierung“ zwischen Fidel und Che erschien mir eine notwendige Ausgangsthese für meine Arbeit – aber ich habe da nichts gefunden. Beide waren sehr verschieden und wären langfristig sicher inkompatibel gewären, bis 1965 aber haben sie sich sehr geschätzt und gut ergänzt. Meine eigene Erfahrung (seufzt): mal gut, mal schlecht. Einerseits Unterstützung bei meinem Vorhaben, vor allem von den alten Guevaristas. Andererseits mächtige Blockierung durch Teile des kubanischen Apparats. Interview: Anne Huffschmid

Paco Ignacio Taibo II u. a.: „Das Jahr, in dem wir nirgendwo waren. Ernesto Che Guevara und die afrikanische Guerilla“, Edition ID Archiv, 252 Seiten, 29,80 DM