Chinas KP entwickelt Unsicherheiten

■ Volkskongreß beschließt härteres Strafgesetz, aber im Zeichen der Verbrechensbekämpfung wird auch das Tiananmen-Massaker von 1989 kontrovers. Der Dramatiker Wu Zuguang fordert Neubewertung

Peking (dpa) – Der chinesische Volkskongreß entwickelt immer mehr Eigenleben. Eine einhellige Unterstützung der Vorlagen der Regierung ist nicht mehr gesichert. Versagten sie vor zwei Jahren den Kandidaten von Staats- und Parteichef Jiang Zemin für zwei Vizepremierposten ihre einhellige Unterstützung, bekamen diesmal die obersten Verbrechensbekämpfer den Unmut zu spüren. Die Kriminalität steigt. Die öffentliche Ordnung bricht zusammen. Korruption hat die höchsten Steigerungsraten. „Hart durchgreifen“ (Yanda) lautet nun die Parole im Kampf gegen Verbrechen. Es war nicht nur das Motto der Abgeordneten, die nach härteren Strafen riefen, es ist auch das Allheilmittel der Parteiführung.

Das neue Strafgesetz strotzt nur so von Artikeln, mit denen jeder politische Aktivismus im Keim erstickt werden kann. Was zunächst als Fortschritt aussah, da die „konterrevolutionären“ Verbrechen gestrichen wurden, entpuppte sich als Kampfansage gegen jene, „die die Staatssicherheit gefährden“. Das kann schon durch Worte, Flugblätter oder „andere Mittel“ geschehen, wie Wang Hanbin, der Vizevorsitzende des Volkskongresses, erklärte. Wer zum Sturz der Regierung oder des sozialistischen Systems aufruft und Gerüchte oder Verleumdungen verbreitet, gehört nach dem neuen Gesetz vor den Richter. Der Ruf nach einem Mehrparteiensystem wäre demnach schon ein Straftatbestand, da es das Ende der „Diktatur des Proletariats“ bedeuten würde und damit einem Umsturzversuch gleichkäme.

Der Kampf gegen Dissidenten bleibt

Wer dann deswegen zu 11 oder 14 Jahren Haft verurteilt wird, wie die Bürgerrechtler Wang Dan oder Wei Jingsheng, ist ein rechtmäßig verurteilter „Krimineller“, kein politischer Gefangener. Und wer sich im Ausland für ihn einsetzt, mischt sich in das „unabhängige Justizsystem“ Chinas ein.

Intern begann die Machtprobe konkurrierender Fraktionen: Der bekannte Dramatiker Wu Zuguang forderte offen eine Neubewertung der Studentenbewegung von 1989, die sich hauptsächlich gegen Korruption gerichtet habe. Er nannte den damaligen Pekinger Bürgermeister Chen Xitong als den Hauptschuldigen für die blutige Niederschlagung der Studentenproteste. Chen Xitong solle hingerichtet werden, forderte Wu Zuguang. Er und andere Beamte hätten dem damaligen Vorsitzenden der Militärkommission, Deng Xiaoping, „falsche Informationen“ gegeben und „die wahre Situation verhüllt“, sagte Wu Zuguang in einer Diskussion mit 30 Intellektuellen und Kulturschaffenden auf der Tagung des Beratergremiums, das parallel zum Volkskongreß tagt. Es war das erste Mal, daß die Forderung nach einer Neubewertung der Unruhen aus einem solchen offiziellen Rahmen bekannt wurde. Wu Zuguang bestätigte gestern seine Äußerungen, die von der Hongkonger Zeitung Ming Bao berichtet wurden. Er habe sich bereits im vergangenen Jahr auf der Tagung ähnlich geäußert und es auch bei einer anderen Diskussion wiederholt. Chen Xitong bietet sich als Zielscheibe für Unmut an: Wegen seiner Rolle 1989 war er später mit einem Sitz im Politbüro belohnt worden; später wurde er Parteichef von Peking, wurde aber 1995 wegen Korruption gestürzt.

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